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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0121
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94 Schopenhauer als Erzieher

re lang gar nicht würdigten [...], mich keiner Beachtung werth haltend" (PP I,
Hü 152). - Auch die unerbittliche Schärfe von Schopenhauers Polemik vor
allem gegen die (zunächst viel erfolgreicheren) Philosophen Fichte, Schelling
und Hegel, die sich nicht nur in seiner Schrift Ueber die Universitäts-Philoso-
phie, sondern auch in anderen Werken findet, lässt sich aus dem Trauma der
Nichtbeachtung erklären.
351, 16-21 Unsre Künstler leben kühner und ehrlicher; und das mächtigste Bei-
spiel, welches wir vor uns sehn, das Richard Wagners, zeigt, wie der Genius sich
nicht fürchten darf, in den feindseligsten Widerspruch mit den bestehenden For-
men und Ordnungen zu treten, wenn er die höhere Ordnung und Wahrheit, die
in ihm lebt, an's Licht herausheben will.] Hier greift N. auf einen Aspekt der
Eingangspartie von UB III SE zurück: „Die Künstler allein hassen dieses lässige
Einhergehen in erborgten Manieren und übergehängten Meinungen" (337, 21-
23). Schon hier spricht N. den (pauschal genannten) Künstlern aufgrund ihrer
unkonventionellen Mentalität einen im positiven Sinne ,unzeitgemäßen' Son-
derstatus zu. Dass sich mit dem künstlerischen Habitus auch eine Bereitschaft
zur Rebellion gegen die etablierten Ordnungen und ihre Repräsentanten ver-
bindet, macht N. erst später explizit, indem er diese Haltung an Richard
Wagner exemplifiziert (351, 16-21). Nach Schopenhauer erscheint hier bereits
Wagner als zweite paradigmatische Vorbildfigur; ihm widmet sich N. in
UB IV WB. - Die von N. verwendete Lichtmetaphorik findet sich wiederholt
auch bei Schopenhauer, etwa dort, wo er zwischen unterschiedlichen Denker-
typen differenziert: „man kann die Denker eintheilen in solche, die für sich
selbst, und solche, die für Andere denken: diese sind die Regel, jene die
Ausnahme. Erstere sind demnach Selbstdenker im zwiefachen, und Egoisten
im edelsten Sinne des Worts: sie allein sind es, von denen die Welt Belehrung
empfängt. Denn nur das Licht, welches Einer sich selber angezündet hat,
leuchtet nachmals auch Andern" (PP I, Hü 163). Zur Lichtmetaphorik bei Scho-
penhauer und N. vgl. auch NK 366, 13-16 und NK 387, 7-9.
351, 27-30 Also: ich wollte sagen, dass die Philosophie in Deutschland es mehr
und mehr zu verlernen hat, „reine Wissenschaft" zu sein: und das gerade sei das
Beispiel des Menschen Schopenhauer.] Hier übt N. implizit Kritik an Immanuel
Kant, der in der Einleitung zur zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft
von 1787 die „Idee einer besondern Wissenschaft" entwirft, „die Kritik der
reinen Vernunft heißen kann" (AA 3, 42). Wenig später schreibt Kant: „Die
Transcendental-Philosophie ist die Idee einer Wissenschaft, wozu die Kritik der
reinen Vernunft den ganzen Plan architektonisch, d. i. aus Principien, ent-
werfen soll" (ebd., 44). „Die eigentliche Aufgabe der reinen Vernunft ist nun
in der Frage enthalten: Wie sind synthetische Urtheile a priori möglich?"
 
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