98 Schopenhauer als Erzieher
dem [sic] aufmerksamen Beobachter auf ein Daseyn hindeutet, das in einer
glücklichsten Entfaltung so wie in der nothgedrungensten Beschränkung sich
gleich zu bleiben und wo nicht immer die Würde, doch wenigstens die Hartnä-
ckigkeit des menschlichen Wesens durchzuführen trachtete" (Goethe: Sämmt-
liche Werke in vierzig Bänden, Bd. 30, 1857, 465). Vgl. auch HA 12, 173.
352, 27 Bildungsphilister] N. versteht das Kompositum ,Bildungsphilister' kei-
neswegs nur als Spezifikation des Simplex ,Philister'. Das zeigen seine Begriffs-
definitionen: „Das Wort Philister ist bekanntlich dem Studentenleben entnom-
men und bezeichnet in seinem weiteren, doch ganz populären Sinne den
Gegensatz des Musensohnes, des Künstlers, des ächten Kulturmenschen. Der
Bildungsphilister aber [...] unterscheidet sich von der allgemeinen Idee der Gat-
tung ,Philister' durch Einen Aberglauben: er wähnt selber Musensohn und Kul-
turmensch zu sein; ein unbegreiflicher Wahn, aus dem hervorgeht, dass er gar
nicht weiss, was der Philister und was sein Gegensatz ist: [...] Er fühlt sich, bei
diesem Mangel jeder Selbsterkenntniss, fest überzeugt, dass seine ,Bildung'
gerade der satte Ausdruck der rechten deutschen Kultur sei", glaubt sogar
selbst „der würdige Vertreter der jetzigen deutschen Kultur zu sein und macht
dem entsprechend seine Forderungen und Ansprüche" (KSA 1, 165, 7-26). - In
den von N. publizierten Werken kommt der Begriff ,Bildungsphilister' nach
UB I DS (KSA 1, 165, 6) noch fünfmal vor, davon dreimal in den unmittelbar
folgenden Schriften UB II HL (KSA 1, 326, 13-14) und UB III SE (352, 27; 401,
24-25) und zweimal mit ausdrücklichem Bezug auf UB I DS in Menschliches,
Allzumenschliches II (KSA 2, 370, 3-4) und in Ecce homo (KSA 6, 317, 16). -
Einen Prioritätsanspruch erhebt N. im Hinblick auf den Begriff ,Bildungsphilis-
ter', wenn er in der Vorrede zu Menschliches, Allzumenschliches II sich selbst
„die Vaterschaft des jetzt viel gebrauchten und missbrauchten Wortes ,Bil-
dungsphilister'" zuschreibt (KSA 2, 370, 2-4). Sogar in seiner Spätschrift Ecce
homo vertritt er im Rückblick auf seine Unzeitgemässen Betrachtungen mit kon-
kretem Bezug auf UB I DS noch die Ansicht: „das Wort Bildungsphilister ist
von meiner Schrift her in der Sprache übrig geblieben" (KSA 6, 317, 16-17). Die-
ser Prioritätsanspruch N.s ist nicht berechtigt. Hierzu und zum Einfluss des
romantischen Philisterbegriffs auf das Wort ,Bildungsphilister' vgl. NK 165, 6
(UB I DS) und NK 326, 13-14 (UB II HL).
Ursprünglich stammt der Begriff des ,Philisters', wie N. selbst konstatiert,
aus der Studentensprache. Nach Grimms Deutschem Wörterbuch ist der Philis-
ter „ein nüchterner, pedantischer, beschränkter, lederner mensch ohne sinn
für eine höhere und freiere auffassung", mithin ein Spießbürger (Deutsches
Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, Bd. 13, 1827). Das Deutsche Wörter-
buch nennt auch Belege aus Werken Goethes und Heines (vgl. ebd.). Die Vor-
stellung der Bildungsbeflissenheit ist durchaus auch mit dem älteren Philister-
dem [sic] aufmerksamen Beobachter auf ein Daseyn hindeutet, das in einer
glücklichsten Entfaltung so wie in der nothgedrungensten Beschränkung sich
gleich zu bleiben und wo nicht immer die Würde, doch wenigstens die Hartnä-
ckigkeit des menschlichen Wesens durchzuführen trachtete" (Goethe: Sämmt-
liche Werke in vierzig Bänden, Bd. 30, 1857, 465). Vgl. auch HA 12, 173.
352, 27 Bildungsphilister] N. versteht das Kompositum ,Bildungsphilister' kei-
neswegs nur als Spezifikation des Simplex ,Philister'. Das zeigen seine Begriffs-
definitionen: „Das Wort Philister ist bekanntlich dem Studentenleben entnom-
men und bezeichnet in seinem weiteren, doch ganz populären Sinne den
Gegensatz des Musensohnes, des Künstlers, des ächten Kulturmenschen. Der
Bildungsphilister aber [...] unterscheidet sich von der allgemeinen Idee der Gat-
tung ,Philister' durch Einen Aberglauben: er wähnt selber Musensohn und Kul-
turmensch zu sein; ein unbegreiflicher Wahn, aus dem hervorgeht, dass er gar
nicht weiss, was der Philister und was sein Gegensatz ist: [...] Er fühlt sich, bei
diesem Mangel jeder Selbsterkenntniss, fest überzeugt, dass seine ,Bildung'
gerade der satte Ausdruck der rechten deutschen Kultur sei", glaubt sogar
selbst „der würdige Vertreter der jetzigen deutschen Kultur zu sein und macht
dem entsprechend seine Forderungen und Ansprüche" (KSA 1, 165, 7-26). - In
den von N. publizierten Werken kommt der Begriff ,Bildungsphilister' nach
UB I DS (KSA 1, 165, 6) noch fünfmal vor, davon dreimal in den unmittelbar
folgenden Schriften UB II HL (KSA 1, 326, 13-14) und UB III SE (352, 27; 401,
24-25) und zweimal mit ausdrücklichem Bezug auf UB I DS in Menschliches,
Allzumenschliches II (KSA 2, 370, 3-4) und in Ecce homo (KSA 6, 317, 16). -
Einen Prioritätsanspruch erhebt N. im Hinblick auf den Begriff ,Bildungsphilis-
ter', wenn er in der Vorrede zu Menschliches, Allzumenschliches II sich selbst
„die Vaterschaft des jetzt viel gebrauchten und missbrauchten Wortes ,Bil-
dungsphilister'" zuschreibt (KSA 2, 370, 2-4). Sogar in seiner Spätschrift Ecce
homo vertritt er im Rückblick auf seine Unzeitgemässen Betrachtungen mit kon-
kretem Bezug auf UB I DS noch die Ansicht: „das Wort Bildungsphilister ist
von meiner Schrift her in der Sprache übrig geblieben" (KSA 6, 317, 16-17). Die-
ser Prioritätsanspruch N.s ist nicht berechtigt. Hierzu und zum Einfluss des
romantischen Philisterbegriffs auf das Wort ,Bildungsphilister' vgl. NK 165, 6
(UB I DS) und NK 326, 13-14 (UB II HL).
Ursprünglich stammt der Begriff des ,Philisters', wie N. selbst konstatiert,
aus der Studentensprache. Nach Grimms Deutschem Wörterbuch ist der Philis-
ter „ein nüchterner, pedantischer, beschränkter, lederner mensch ohne sinn
für eine höhere und freiere auffassung", mithin ein Spießbürger (Deutsches
Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, Bd. 13, 1827). Das Deutsche Wörter-
buch nennt auch Belege aus Werken Goethes und Heines (vgl. ebd.). Die Vor-
stellung der Bildungsbeflissenheit ist durchaus auch mit dem älteren Philister-