120 Schopenhauer als Erzieher
doch erweitert er sein Konzept der ,Genialität' in kulturanthropologische
Dimensionen, die er mit universalhistorischen Perspektiven verknüpft: „Ge-
nialität der Menschheit. - Wenn Genialität, nach Schopenhauer's Be-
obachtung, in der zusammenhängenden und lebendigen Erinnerung an das
Selbst-Erlebte besteht, so möchte im Streben nach Erkenntniss des gesammten
historischen Gewordenseins - welches immer mächtiger die neuere Zeit gegen
alle früheren abhebt und zum ersten Male zwischen Natur und Geist, Mensch
und Thier, Moral und Physik die alten Mauern zerbrochen hat - ein Streben
nach Genialität der Menschheit im Ganzen zu erkennen sein. Die vollendet ge-
dachte Historie wäre kosmisches Selbstbewusstsein" (KSA 2, 460, 29 - 461, 8).
359, 3-4 Was das heissen will, wird jeder nach dem Maasse dessen verstehen,
was und wie viel er ist] Anspielung auf das Kapitel II in Schopenhauers Aphoris-
men zur Lebensweisheit: „Von Dem, was Einer ist" (PP I, Hü 343).
359, 20-21 Ein Jeder trägt eine productive Einzigkeit in sich, als den Kern seines
Wesens] An dieser Stelle nimmt N. das emphatische Postulat der Individualität
wieder auf, das er bereits am Anfang von UB III SE eingeführt hat (340-341),
und lädt es mit der Aura exzeptioneller Größe auf: durch den „Glanz [...] des
Ungewöhnlichen" (359, 23).
359, 29-30 Vereinsamung [...] Wüste [...] Höhle] Die Motive der Wüste und der
Höhle sind, mit dem Einsamkeitstopos symbolisch verbunden, auch in N.s Dio-
nysos-Dithyramben und in Also sprach Zarathustra von zentraler Bedeutung.
Vgl. NK 353, 32. - Zu N.s Anspielung auf Platons Höhlengleichnis vgl. vor allem
NK 356, 11-17, ergänzend auch NK 354, 1-3.
360, 10-11 „es möchte kein Hund so länger leben!"] Wörtliches Zitat aus dem
Eingangsmonolog des Protagonisten in Goethes Faust I. In der kritischen Le-
bensretrospektive, die seinem Ringen um Neuorientierung zugrunde liegt, ruft
Faust aus: „Bilde mir nicht ein, ich könnte was lehren, / Die Menschen zu
bessern und zu bekehren. / Auch hab' ich weder Gut noch Geld, / Noch Ehr'
und Herrlichkeit der Welt; / Es möchte kein Hund so länger leben! / Drum hab'
ich mich der Magie ergeben, / Ob mir durch Geistes Kraft und Mund / Nicht
manch Geheimnis würde kund" (V. 372-379). Faust wünscht, „Daß ich erkenne,
was die Welt / Im Innersten zusammenhält" (V. 382-383). In seinem Eingangs-
monolog zieht er die Quintessenz aus dem Verlust genuiner Lebendigkeit
aufgrund der Einseitigkeiten seiner Gelehrtenexistenz. Fausts radikale Wissen-
schaftskritik und Wahrheitsskepsis, die in der Studierzimmer-Szene weiterge-
führt wird, gehört zu den zentralen Themen dieses Dramas und korrespondiert
zugleich mit der Gelehrtenkritik N.s in UB III SE.
360, 15-17 Die Einzigkeit seines Wesens ist zum untheilbaren, unmittheilbaren
Atom geworden, zum erkalteten Gestein.] Das ursprünglich aus der Naturphilo-
doch erweitert er sein Konzept der ,Genialität' in kulturanthropologische
Dimensionen, die er mit universalhistorischen Perspektiven verknüpft: „Ge-
nialität der Menschheit. - Wenn Genialität, nach Schopenhauer's Be-
obachtung, in der zusammenhängenden und lebendigen Erinnerung an das
Selbst-Erlebte besteht, so möchte im Streben nach Erkenntniss des gesammten
historischen Gewordenseins - welches immer mächtiger die neuere Zeit gegen
alle früheren abhebt und zum ersten Male zwischen Natur und Geist, Mensch
und Thier, Moral und Physik die alten Mauern zerbrochen hat - ein Streben
nach Genialität der Menschheit im Ganzen zu erkennen sein. Die vollendet ge-
dachte Historie wäre kosmisches Selbstbewusstsein" (KSA 2, 460, 29 - 461, 8).
359, 3-4 Was das heissen will, wird jeder nach dem Maasse dessen verstehen,
was und wie viel er ist] Anspielung auf das Kapitel II in Schopenhauers Aphoris-
men zur Lebensweisheit: „Von Dem, was Einer ist" (PP I, Hü 343).
359, 20-21 Ein Jeder trägt eine productive Einzigkeit in sich, als den Kern seines
Wesens] An dieser Stelle nimmt N. das emphatische Postulat der Individualität
wieder auf, das er bereits am Anfang von UB III SE eingeführt hat (340-341),
und lädt es mit der Aura exzeptioneller Größe auf: durch den „Glanz [...] des
Ungewöhnlichen" (359, 23).
359, 29-30 Vereinsamung [...] Wüste [...] Höhle] Die Motive der Wüste und der
Höhle sind, mit dem Einsamkeitstopos symbolisch verbunden, auch in N.s Dio-
nysos-Dithyramben und in Also sprach Zarathustra von zentraler Bedeutung.
Vgl. NK 353, 32. - Zu N.s Anspielung auf Platons Höhlengleichnis vgl. vor allem
NK 356, 11-17, ergänzend auch NK 354, 1-3.
360, 10-11 „es möchte kein Hund so länger leben!"] Wörtliches Zitat aus dem
Eingangsmonolog des Protagonisten in Goethes Faust I. In der kritischen Le-
bensretrospektive, die seinem Ringen um Neuorientierung zugrunde liegt, ruft
Faust aus: „Bilde mir nicht ein, ich könnte was lehren, / Die Menschen zu
bessern und zu bekehren. / Auch hab' ich weder Gut noch Geld, / Noch Ehr'
und Herrlichkeit der Welt; / Es möchte kein Hund so länger leben! / Drum hab'
ich mich der Magie ergeben, / Ob mir durch Geistes Kraft und Mund / Nicht
manch Geheimnis würde kund" (V. 372-379). Faust wünscht, „Daß ich erkenne,
was die Welt / Im Innersten zusammenhält" (V. 382-383). In seinem Eingangs-
monolog zieht er die Quintessenz aus dem Verlust genuiner Lebendigkeit
aufgrund der Einseitigkeiten seiner Gelehrtenexistenz. Fausts radikale Wissen-
schaftskritik und Wahrheitsskepsis, die in der Studierzimmer-Szene weiterge-
führt wird, gehört zu den zentralen Themen dieses Dramas und korrespondiert
zugleich mit der Gelehrtenkritik N.s in UB III SE.
360, 15-17 Die Einzigkeit seines Wesens ist zum untheilbaren, unmittheilbaren
Atom geworden, zum erkalteten Gestein.] Das ursprünglich aus der Naturphilo-