Stellenkommentar UB III SE 3, KSA 1, S. 362-363 127
tung. Sie spielt auf die Verbindung von Metallen durch eine zum Schmelzen füh-
rende Erhitzung an. N. überträgt die Vorstellung der „Anlöthung" generalisierend
auf die Verbindung heterogener und inkompatibler Elemente im „grosse[n]
Mensch[en]" (362, 11) seiner Epoche: auf die spannungsreiche Amalgamierung
des Zeitgemäßen mit dem Unzeitgemäßen. Als paradigmatische Vorbildfigur für
N. fungiert Schopenhauer durch seinen eigenen inneren Kampf gegen „alles Zeit-
gemässe" (362, 31).
362, 29 die Schriften Schopenhauers als Spiegel der Zeit] In seiner Schrift Ueber
die Universitäts-Philosophie reflektiert auch Schopenhauer das Verhältnis der
Philosophie zu ihrer Epoche: Einen Sonderstatus der Philosophie begründet er
mit der Auffassung, dass auf ihr „die Denkungsart des Zeitalters" basiere (PP I,
Hü 166). Da „die herrschende Philosophie einer Zeit ihren Geist" bestimme,
habe die Dominanz der „Philosophie des absoluten Unsinns" entsprechend fa-
tale Folgen (PP I, Hü 184). Schopenhauer exemplifiziert diese Problematik
durch den Hegelianismus, den er für „die Ursache der ganzen Degradation der
Philosophie und, in Folge davon, des Verfalls der höhern Litteratur überhaupt"
hält (PP I, Hü 184). - Allerdings unterscheidet sich N.s Einschätzung von der
Auffassung Schopenhauers insofern, als er in UB I-IV das Zeitgemäße eigent-
lich als das Unauthentische begreift. In diesem Sinne beschreibt er den Kampf
Schopenhauers gegen die vermeintlich depravierenden Wirkungen bestimmter
historischer Bedingtheiten als eine Katharsis: N. betont, Schopenhauer habe
sich „jener falschen [...] Zeit" widersetzt, „und indem er sie gleichsam aus sich
auswies, reinigte und heilte er sein Wesen" (362, 25-27). Als „Spiegel der Zeit"
kommen Schopenhauers Werke nach N. (entgegen dem obigen Wortlaut) also
lediglich dann in Betracht, wenn man diese dialektischen Brechungen mitbe-
rücksichtigt. Daher weist N. in 362, 22-23 auch selbst ausdrücklich auf die kom-
plexen Vermittlungen des Zeitgemäßen mit dem Unzeitgemäßen hin.
362, 31-34 alles Zeitgemässe nur wie eine entstellende Krankheit [...] Sehnsucht
nach starker Natur] Hier formuliert N. eine radikale Decadence-Kritik. Letztlich
intendiert er die Überwindung zeitgemäßer Depravation durch eine unzeitge-
mäße Vitalität, die ihren Zenit im „Genius" erreichen soll. Auch Schopenhauer
entwirft am Ende seiner Schrift Ueber die Universitäts-Philosophie ein elitäres
Naturkonzept, indem er die Natur als „aristokratisch" beschreibt und betont,
„daß Alles darauf ankommt, wie Einer aus den Händen der Natur hervorgegan-
gen sei" (PP I, Hü 209). Vgl. auch NK 338, 5-7.
363, 7-8 „was ist das Leben überhaupt werth?"] Auch hier nimmt N. Fragestel-
lungen Schopenhauers auf, der sich in der Anfangspartie des Vierten Buches
in der Welt als Wille und Vorstellung I folgendermaßen über die Philosophie
äußert: „hier, wo es den Werth oder Unwerth eines Daseyns, wo es Heil oder
tung. Sie spielt auf die Verbindung von Metallen durch eine zum Schmelzen füh-
rende Erhitzung an. N. überträgt die Vorstellung der „Anlöthung" generalisierend
auf die Verbindung heterogener und inkompatibler Elemente im „grosse[n]
Mensch[en]" (362, 11) seiner Epoche: auf die spannungsreiche Amalgamierung
des Zeitgemäßen mit dem Unzeitgemäßen. Als paradigmatische Vorbildfigur für
N. fungiert Schopenhauer durch seinen eigenen inneren Kampf gegen „alles Zeit-
gemässe" (362, 31).
362, 29 die Schriften Schopenhauers als Spiegel der Zeit] In seiner Schrift Ueber
die Universitäts-Philosophie reflektiert auch Schopenhauer das Verhältnis der
Philosophie zu ihrer Epoche: Einen Sonderstatus der Philosophie begründet er
mit der Auffassung, dass auf ihr „die Denkungsart des Zeitalters" basiere (PP I,
Hü 166). Da „die herrschende Philosophie einer Zeit ihren Geist" bestimme,
habe die Dominanz der „Philosophie des absoluten Unsinns" entsprechend fa-
tale Folgen (PP I, Hü 184). Schopenhauer exemplifiziert diese Problematik
durch den Hegelianismus, den er für „die Ursache der ganzen Degradation der
Philosophie und, in Folge davon, des Verfalls der höhern Litteratur überhaupt"
hält (PP I, Hü 184). - Allerdings unterscheidet sich N.s Einschätzung von der
Auffassung Schopenhauers insofern, als er in UB I-IV das Zeitgemäße eigent-
lich als das Unauthentische begreift. In diesem Sinne beschreibt er den Kampf
Schopenhauers gegen die vermeintlich depravierenden Wirkungen bestimmter
historischer Bedingtheiten als eine Katharsis: N. betont, Schopenhauer habe
sich „jener falschen [...] Zeit" widersetzt, „und indem er sie gleichsam aus sich
auswies, reinigte und heilte er sein Wesen" (362, 25-27). Als „Spiegel der Zeit"
kommen Schopenhauers Werke nach N. (entgegen dem obigen Wortlaut) also
lediglich dann in Betracht, wenn man diese dialektischen Brechungen mitbe-
rücksichtigt. Daher weist N. in 362, 22-23 auch selbst ausdrücklich auf die kom-
plexen Vermittlungen des Zeitgemäßen mit dem Unzeitgemäßen hin.
362, 31-34 alles Zeitgemässe nur wie eine entstellende Krankheit [...] Sehnsucht
nach starker Natur] Hier formuliert N. eine radikale Decadence-Kritik. Letztlich
intendiert er die Überwindung zeitgemäßer Depravation durch eine unzeitge-
mäße Vitalität, die ihren Zenit im „Genius" erreichen soll. Auch Schopenhauer
entwirft am Ende seiner Schrift Ueber die Universitäts-Philosophie ein elitäres
Naturkonzept, indem er die Natur als „aristokratisch" beschreibt und betont,
„daß Alles darauf ankommt, wie Einer aus den Händen der Natur hervorgegan-
gen sei" (PP I, Hü 209). Vgl. auch NK 338, 5-7.
363, 7-8 „was ist das Leben überhaupt werth?"] Auch hier nimmt N. Fragestel-
lungen Schopenhauers auf, der sich in der Anfangspartie des Vierten Buches
in der Welt als Wille und Vorstellung I folgendermaßen über die Philosophie
äußert: „hier, wo es den Werth oder Unwerth eines Daseyns, wo es Heil oder