Stellenkommentar UB III SE 6, KSA 1, S. 383-384 203
sie kann nur über den Umweg ihrer ,höchsten Exemplare' gefördert werden. /
Und das ist das unbew[ußte] Streben der in Parteien ungeteilten Völker und
Kulturkreise selbst - ihre Genien, Heilige, Helden zu suchen" (B.I.22). Das letzt-
lich gattungsbezogene Telos eines nur zunächst individualistisch ausgerichte-
ten Geistesaristokratismus wird evident, wenn Scheler für die Förderung von
„höchsten Exemplaren" nicht im Sinne eines individualistischen „Selbst-
zweckls]" argumentiert, sondern im Sinne dessen, was ,„für' die Menschheit
das schlechthin ,beste' ist" (B.I.22). Damit folgt Scheler N.s These in UB II HL:
Das „Ziel der Menschheit kann [...] nur in ihren höchsten Exemplaren" liegen
(KSA 1, 317, 24-26).
384, 2-7 Wie gerne möchte man eine Belehrung auf die Gesellschaft und ihre
Zwecke anwenden, welche man aus der Betrachtung einer jeden Art des Thier-
und Pflanzenreichs gewinnen kann, dass es bei ihr allein auf das einzelne höhere
Exemplar ankommt, auf das ungewöhnlichere, mächtigere, complicirtere, frucht-
barere] Hier argumentiert N. biologistisch, indem er Prinzipien der Entwick-
lungsgeschichte von Fauna und Flora auf die spezifischen Rahmenbedingun-
gen der menschlichen Gesellschaft zu übertragen versucht. N. sieht „das Ziel"
jeder Art darin, sich dem „Übergang in eine höhere Art" anzunähern, statt bloß
das „Wohlbefinden" der „Masse der Exemplare" zu sichern (384, 10-12). Auf
diese Weise schafft er sich eine Basis, um erneut gegen Zielsetzungen des Utili-
tarismus zu polemisieren. Dabei hält N. den auf das Wohl der Allgemeinheit
ausgerichteten Prinzipien des Utilitarismus seine eigenen elitären Vorstellun-
gen von Individuum und Kultur entgegen. Zu dieser Relation vgl. NK 384, 21-
22. Durch einen biologistischen Perfektibilitätsgedanken vermittelt N. sein Kul-
turideal zugleich mit der Situation des Individuums. Auf diese Weise antizi-
piert er hier bereits wesentliche Aspekte des später in Also sprach Zarathustra
entfalteten Übermensch-Konzepts, dessen aristokratischer Individualismus
eine antidemokratische Tendenz impliziert (vgl. 384, 31 - 385, 2). Die Vorstel-
lung der Kompliziertheit, die N. mit Bezug auf das „complicirtere" Exemplar
(384, 7) positiv meint, und zwar im Sinne höherer Entwicklung und Ausdiffe-
renzierung, erscheint in einer früheren Textpassage von UB III SE allerdings
mit negativer Bedeutung (vgl. 346, 15).
384, 10-11 Übergang in eine höhere Art] Bereits Schopenhauer bezieht in sei-
ner Schrift Ueber die Universitäts-Philosophie eine kritische Position gegenüber
denen, die eine „totale und absolute Verschiedenheit des Menschen von den
Thieren" propagieren und dabei die „allmäligen Abstufungen des Intellekts in
der Thierreihe" ignorieren (PP I, Hü 190). Auch N. geht hier von graduellen
Differenzen in der Natur aus. Einerseits trägt er dadurch der Evolutionslehre
Darwins Rechnung, die später auch in seine Vorstellung vom Übermenschen
sie kann nur über den Umweg ihrer ,höchsten Exemplare' gefördert werden. /
Und das ist das unbew[ußte] Streben der in Parteien ungeteilten Völker und
Kulturkreise selbst - ihre Genien, Heilige, Helden zu suchen" (B.I.22). Das letzt-
lich gattungsbezogene Telos eines nur zunächst individualistisch ausgerichte-
ten Geistesaristokratismus wird evident, wenn Scheler für die Förderung von
„höchsten Exemplaren" nicht im Sinne eines individualistischen „Selbst-
zweckls]" argumentiert, sondern im Sinne dessen, was ,„für' die Menschheit
das schlechthin ,beste' ist" (B.I.22). Damit folgt Scheler N.s These in UB II HL:
Das „Ziel der Menschheit kann [...] nur in ihren höchsten Exemplaren" liegen
(KSA 1, 317, 24-26).
384, 2-7 Wie gerne möchte man eine Belehrung auf die Gesellschaft und ihre
Zwecke anwenden, welche man aus der Betrachtung einer jeden Art des Thier-
und Pflanzenreichs gewinnen kann, dass es bei ihr allein auf das einzelne höhere
Exemplar ankommt, auf das ungewöhnlichere, mächtigere, complicirtere, frucht-
barere] Hier argumentiert N. biologistisch, indem er Prinzipien der Entwick-
lungsgeschichte von Fauna und Flora auf die spezifischen Rahmenbedingun-
gen der menschlichen Gesellschaft zu übertragen versucht. N. sieht „das Ziel"
jeder Art darin, sich dem „Übergang in eine höhere Art" anzunähern, statt bloß
das „Wohlbefinden" der „Masse der Exemplare" zu sichern (384, 10-12). Auf
diese Weise schafft er sich eine Basis, um erneut gegen Zielsetzungen des Utili-
tarismus zu polemisieren. Dabei hält N. den auf das Wohl der Allgemeinheit
ausgerichteten Prinzipien des Utilitarismus seine eigenen elitären Vorstellun-
gen von Individuum und Kultur entgegen. Zu dieser Relation vgl. NK 384, 21-
22. Durch einen biologistischen Perfektibilitätsgedanken vermittelt N. sein Kul-
turideal zugleich mit der Situation des Individuums. Auf diese Weise antizi-
piert er hier bereits wesentliche Aspekte des später in Also sprach Zarathustra
entfalteten Übermensch-Konzepts, dessen aristokratischer Individualismus
eine antidemokratische Tendenz impliziert (vgl. 384, 31 - 385, 2). Die Vorstel-
lung der Kompliziertheit, die N. mit Bezug auf das „complicirtere" Exemplar
(384, 7) positiv meint, und zwar im Sinne höherer Entwicklung und Ausdiffe-
renzierung, erscheint in einer früheren Textpassage von UB III SE allerdings
mit negativer Bedeutung (vgl. 346, 15).
384, 10-11 Übergang in eine höhere Art] Bereits Schopenhauer bezieht in sei-
ner Schrift Ueber die Universitäts-Philosophie eine kritische Position gegenüber
denen, die eine „totale und absolute Verschiedenheit des Menschen von den
Thieren" propagieren und dabei die „allmäligen Abstufungen des Intellekts in
der Thierreihe" ignorieren (PP I, Hü 190). Auch N. geht hier von graduellen
Differenzen in der Natur aus. Einerseits trägt er dadurch der Evolutionslehre
Darwins Rechnung, die später auch in seine Vorstellung vom Übermenschen