210 Schopenhauer als Erzieher
seits spielt er auf die Willensphilosophie Schopenhauers an, der selbst bereits
die Helligkeitsmetaphorik verwendet, um die Korrelation von Willen und Vor-
stellung zu charakterisieren: Dem Willen als ,finsterer' Triebkraft stellt Scho-
penhauer das ,Licht' der Erkenntnis gegenüber. Schopenhauer versteht unter
dem ,Willen' keineswegs primär die voluntative Dimension des menschlichen
Bewusstseins, sondern eine Triebdimension, die alles Seiende durchwirkt. Sie
manifestiert sich auf den niedrigeren Stufen als dunkler Drang, entwickelt im
Tierreich immerhin schon das Potential einer „anschaulichen Erkenntniß", die
aber nur beim Menschen auch von der Fähigkeit zur „Reflexion" durch „die
Vernunft als das Vermögen abstrakter Begriffe" begleitet wird (WWV I, § 27,
Hü 180).
In seinem Hauptwerk schreibt Schopenhauer: „Der Wille, welcher rein an
sich betrachtet, erkenntnißlos und nur ein blinder, unaufhaltsamer Drang ist,
wie wir ihn noch in der unorganischen und vegetabilischen Natur und ihren
Gesetzen, wie auch im vegetativen Theil unsers eigenen Lebens erscheinen
sehn, erhält durch die hinzugetretene, zu seinem Dienste entwickelte Welt der
Vorstellung die Erkenntniß von seinem Wollen und von dem was es sei, das er
will, daß es nämlich nichts Anderes sei, als diese Welt, das Leben, gerade so
wie es dasteht" (WWV I, § 54, Hü 323). Analog heißt es in einer früheren Werk-
partie: „Von Stufe zu Stufe sich deutlicher objektivirend", wirkt „im Pflanzen-
reich [...] der Wille doch noch völlig erkenntnißlos, als finstere treibende Kraft,
und so endlich auch noch im vegetativen Theil der thierischen Erscheinung"
(WWV I, § 27, Hü 178). Allerdings gilt bereits für die animalische Sphäre: „Die
Welt zeigt jetzt die zweite Seite. Bisher bloß Wille, ist sie nun zugleich Vor-
stellung, Objekt des erkennenden Subjekts. Der Wille, der bis hieher im Dun-
keln, höchst sicher und unfehlbar, seinen Trieb verfolgte, hat sich auf dieser
Stufe ein Licht angezündet, als ein Mittel, welches nothwendig wurde [...]"
(WWV I, § 27, Hü 179).
387, 32 courante Menschen] Kurant (auch: courant) bedeutet: gebräuchlich,
gängig, umlaufend (wie eine Münze). Mithin schreibt N. den Menschen hier in
metaphorischer Diktion und pejorativem Sinne eine pragmatische Nutzbarkeit
zu, die derjenigen des Währungsumlaufs entspricht, und übt zugleich Kritik
an den Folgen des zeitgenössischen Kapitalismus. Der von N. dargestellte Ty-
pus des „courante[n] Menschen" wird von Jean Amery unter Rückgriff auf mo-
derne sozialphilosophische Termini von Karl Marx und Herbert Marcuse als
,entfremdeter Mensch' und als ,eindimensionaler Mensch' charakterisiert (Jean
Amery [1975] 2004, 402). N.s Kulturkritik und seine Vorbehalte gegenüber dem
Kapitalismus korreliert Amery, indem er erklärt: „Nietzsches Kulturauffassung,
die eine zugleich ästhetische und moralisch-amoralische ist, muß als die Anti-
these der ihm zeitgenössischen Kultur oder Zivilisation verstanden werden, als
seits spielt er auf die Willensphilosophie Schopenhauers an, der selbst bereits
die Helligkeitsmetaphorik verwendet, um die Korrelation von Willen und Vor-
stellung zu charakterisieren: Dem Willen als ,finsterer' Triebkraft stellt Scho-
penhauer das ,Licht' der Erkenntnis gegenüber. Schopenhauer versteht unter
dem ,Willen' keineswegs primär die voluntative Dimension des menschlichen
Bewusstseins, sondern eine Triebdimension, die alles Seiende durchwirkt. Sie
manifestiert sich auf den niedrigeren Stufen als dunkler Drang, entwickelt im
Tierreich immerhin schon das Potential einer „anschaulichen Erkenntniß", die
aber nur beim Menschen auch von der Fähigkeit zur „Reflexion" durch „die
Vernunft als das Vermögen abstrakter Begriffe" begleitet wird (WWV I, § 27,
Hü 180).
In seinem Hauptwerk schreibt Schopenhauer: „Der Wille, welcher rein an
sich betrachtet, erkenntnißlos und nur ein blinder, unaufhaltsamer Drang ist,
wie wir ihn noch in der unorganischen und vegetabilischen Natur und ihren
Gesetzen, wie auch im vegetativen Theil unsers eigenen Lebens erscheinen
sehn, erhält durch die hinzugetretene, zu seinem Dienste entwickelte Welt der
Vorstellung die Erkenntniß von seinem Wollen und von dem was es sei, das er
will, daß es nämlich nichts Anderes sei, als diese Welt, das Leben, gerade so
wie es dasteht" (WWV I, § 54, Hü 323). Analog heißt es in einer früheren Werk-
partie: „Von Stufe zu Stufe sich deutlicher objektivirend", wirkt „im Pflanzen-
reich [...] der Wille doch noch völlig erkenntnißlos, als finstere treibende Kraft,
und so endlich auch noch im vegetativen Theil der thierischen Erscheinung"
(WWV I, § 27, Hü 178). Allerdings gilt bereits für die animalische Sphäre: „Die
Welt zeigt jetzt die zweite Seite. Bisher bloß Wille, ist sie nun zugleich Vor-
stellung, Objekt des erkennenden Subjekts. Der Wille, der bis hieher im Dun-
keln, höchst sicher und unfehlbar, seinen Trieb verfolgte, hat sich auf dieser
Stufe ein Licht angezündet, als ein Mittel, welches nothwendig wurde [...]"
(WWV I, § 27, Hü 179).
387, 32 courante Menschen] Kurant (auch: courant) bedeutet: gebräuchlich,
gängig, umlaufend (wie eine Münze). Mithin schreibt N. den Menschen hier in
metaphorischer Diktion und pejorativem Sinne eine pragmatische Nutzbarkeit
zu, die derjenigen des Währungsumlaufs entspricht, und übt zugleich Kritik
an den Folgen des zeitgenössischen Kapitalismus. Der von N. dargestellte Ty-
pus des „courante[n] Menschen" wird von Jean Amery unter Rückgriff auf mo-
derne sozialphilosophische Termini von Karl Marx und Herbert Marcuse als
,entfremdeter Mensch' und als ,eindimensionaler Mensch' charakterisiert (Jean
Amery [1975] 2004, 402). N.s Kulturkritik und seine Vorbehalte gegenüber dem
Kapitalismus korreliert Amery, indem er erklärt: „Nietzsches Kulturauffassung,
die eine zugleich ästhetische und moralisch-amoralische ist, muß als die Anti-
these der ihm zeitgenössischen Kultur oder Zivilisation verstanden werden, als