Metadaten

Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0242
Lizenz: In Copyright
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Stellenkommentar UB III SE 6, KSA 1, S. 389-390 215

390, 12-13 bei dem Verlangen einzelner Deutschen nach Eleganz und Manieren]
Mit der ausführlichen Polemik gegen französisierende „Eleganz", die er mit
einem positiv gewerteten „deutschen Geist" (391, 18) und der „alte[n] deut-
sche[n] Art" (391, 24) kontrastiert, nimmt N. einen nationalpatriotischen Topos
der Sturm-und-Drang-Epoche auf, den er hier im Hinblick auf den erst wenige
Jahre zurückliegenden deutsch-französischen Krieg von 1870/71 und die aus
ihm resultierende antifranzösische Stimmung aktualisiert. Damit schließt N.
zugleich an Richard Wagner an (391, 30), der sich vor allem in seinen während
dieses Krieges entstandenen Schriften in einen deutschtümelnden, antifranzö-
sischen Nationalismus hineinsteigerte. Dies gilt etwa für die Jubiläumsschrift
Beethoven, die Wagner zu Beethovens 100. Geburtstag im Jahre 1870 verfasste.
Im „Vorwort an Richard Wagner" lobt N. zu Beginn seiner Geburt der Tragödie
enthusiastisch „Ihre herrliche Festschrift über Beethoven" (KSA 1, 23, 19). -
Schon früher gab es in Deutschland Tendenzen zur Kultivierung von „Ele-
ganz", etwa in der Zeitung für die elegante Welt, die der (auch N. gut bekannte)
Publizist Laube seit den 1830er Jahren herausgab. Zu N.s Polemik gegen die
„Eleganz" (KSA 1, 130, 19-25) vgl. auch NK 1/1, 368-370.
390, 17 Seit dem letzten Kriege mit Frankreich] Hier spielt N. direkt auf den
deutsch-französischen Krieg von 1870/71 an, auf den er sich bereits in UB I DS
(KSA 1, 159) und später auch im „Versuch einer Selbstkritik" bezieht, den er
1886 der Neuausgabe seiner Schrift Die Geburt der Tragödie voranstellte.
390, 26-31 selbst die deutsche Sprache soll, vermittelst einer nach französi-
schem Muster gegründeten Akademie, sich „gesunden Geschmack" aneignen und
den bedenklichen Einfluss abthun, welchen Goethe auf sie ausgeübt habe - wie
ganz neuerdings der Berliner Akademiker Dubois-Reymond urtheilt] Cosima
Wagner notiert eine solche Äußerung N.s am 6. August 1874: „Pr[ofessor]
N[ietzsche] erzählt, daß Herr Du Bois-Reymond in Berlin den Vorschlag zu ei-
ner Akademie gemacht habe, worin Goethe als die deutsche Sprache verder-
bend, Lessing gegenüber, geschildert wird!..." (Cosima Wagner: Tagebücher,
Bd. I, 1976, 843). Analoge Aussagen wie im vorliegenden Kontext von UB III SE
(390, 16 - 391, 2) macht N. auch in einem nachgelassenen Notat (NL 1874, 35
[12], KSA 7, 815-816). Hier wie dort rekurriert er auf die nachdrückliche Goethe-
Kritik von Emil Du Bois-Reymond: Über eine Akademie der deutschen Sprache,
1874, 26-27: „Endlich ist hier noch ein schweres Bekenntniss abzulegen. Unser
grösster Dichter hat auf den deutschen Stil lange keinen guten Einfluss geübt.
Auch da er die Iphigenie ,Zeile für Zeile, Periode für Periode regelmässig erklin-
gen lies', war GOETHE in den grundlegenden Eigenschaften des Stils im All-
gemeinen kein Muster. Er besass Alles, was der Himmel seinen Lieblingen
schenkt, und was den Zauber der Darstellung ausmacht, aber ihm fehlte oft,
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften