Stellenkommentar UB III SE 6, KSA 1, S. 391-392 217
Herzen hat. Es klingt als ob man ihm zuriefe: lerne tanzen - während ihm jene
Sehnsucht Faustens [...] erregt ist, sich in der Abendröthe zu baden [vgl. Faust I,
V. 446: „Morgenrot"]. Hölderlin [im Gesang des Deutschen] hat es gesagt, wie
dem Deutschen zu Muthe ist ,noch säumst und schweigst du, sinnest ein freudig
Werk, das von dir zeuge, sinnest ein neu Gebild, das, einzig wie du selber, das
aus Liebe geboren und gut, wie du, sei.' Mit diesem Sinnen im Herzen, ist ihm
freilich seine Gegenwart verleidet; er mag es als Deutscher kaum noch unter
Deutschen aushalten" (KSA 14, 78). - Schon in der Geburt der Tragödie kritisiert
N. die modische „Eleganz", die er mit der „Sprechweise des Journalisten" verbin-
det (KSA 1, 130, 23-24). Damit spielt er auch auf die Zeitung für die elegante Welt
an, die Laube, den er gut kannte, herausgab (vgl. NK 1/1, 369). Zur Deutschen-
Schelte in Hölderlins Hyperion vgl. Waibel 2004, 48.
Der kritischen Beurteilung der äußerlich „schönen Form", die N. im Rah-
men von UB III SE zuvor bereits in 389, 23-24 thematisiert hat, entspricht in
UB IV WB die Opposition zwischen dem „gefälligen Anschein" der äußerlich
bleibenden „Form" und dem ,wahren' Begriff von „Form" als einer „nothwen-
digen Gestaltung" (KSA 1, 457, 15-21). Gegen den Kult der „schönen Form"
polemisiert N. vor allem im Hinblick auf Eduard Hanslick, der im 19. Jahrhun-
dert ein berühmter Musik-Kritiker und Musik-Theoretiker, zugleich aber auch
ein Gegner Richard Wagners war. N. hatte Hanslicks Werk Vom Musikalisch-
Schönen. Ein Beitrag zur Revision der Ästhetik der Tonkunst (1854, 3. Aufl. 1865)
in seiner persönlichen Bibliothek (NPB 275). In diesem Buch differenziert Hans-
lick zwischen Form und Inhalt der Musik und grenzt bereits in einer Kapitel-
überschrift das „ästhetische Aufnehmen der Musik gegenüber dem pathologi-
schen" ab. Seines Erachtens werden durch Melodie, Harmonie und Rhythmus
„Musikalische Ideen" ausgedrückt (Hanslick 2010, 52). Und Hanslick fährt fort:
„In welcher Weise uns die Musik schöne Formen ohne den Inhalt eines be-
stimmten Affectes bringen kann, zeigt uns recht treffend ein Zweig der Orna-
mentik in der bildenden Kunst: die Arabeske", die „in sinnigem Wechsel von
Ruhe und Anspannung" das Auge immer wieder überrascht (ebd., 53). Analog
charakterisiert Hanslick die Musik, wenn er die rhetorische Frage formuliert:
„Denken wir uns vollends diese lebendige Arabeske als thätige Ausströmung
eines künstlerischen Geistes, der die ganze Fülle seiner Phantasie unablässig
in die Adern dieser Bewegung ergießt, wird dieser Eindruck dem musikalischen
nicht sehr nahekommend sein?" (ebd., 53). Hanslick grenzt die ästhetische
Wirkung der Musik entschieden von der bloß pathologischen ab, welche die
Hörer erfahren, die nur „das Elementarische der Musik in passiver Empfäng-
lichkeit auf sich wirken lassen" (ebd., 88). Dezidiert erklärt er: „Ein Erleiden
unmotivirter ziel- und stoffloser Affecte durch eine Macht, die in keinem Rap-
port zu unserm Wollen und Denken steht, ist des Menschengeistes unwürdig"
(ebd., 91). Zu Wagners Musikästhetik vgl. NK 454, 11-14
Herzen hat. Es klingt als ob man ihm zuriefe: lerne tanzen - während ihm jene
Sehnsucht Faustens [...] erregt ist, sich in der Abendröthe zu baden [vgl. Faust I,
V. 446: „Morgenrot"]. Hölderlin [im Gesang des Deutschen] hat es gesagt, wie
dem Deutschen zu Muthe ist ,noch säumst und schweigst du, sinnest ein freudig
Werk, das von dir zeuge, sinnest ein neu Gebild, das, einzig wie du selber, das
aus Liebe geboren und gut, wie du, sei.' Mit diesem Sinnen im Herzen, ist ihm
freilich seine Gegenwart verleidet; er mag es als Deutscher kaum noch unter
Deutschen aushalten" (KSA 14, 78). - Schon in der Geburt der Tragödie kritisiert
N. die modische „Eleganz", die er mit der „Sprechweise des Journalisten" verbin-
det (KSA 1, 130, 23-24). Damit spielt er auch auf die Zeitung für die elegante Welt
an, die Laube, den er gut kannte, herausgab (vgl. NK 1/1, 369). Zur Deutschen-
Schelte in Hölderlins Hyperion vgl. Waibel 2004, 48.
Der kritischen Beurteilung der äußerlich „schönen Form", die N. im Rah-
men von UB III SE zuvor bereits in 389, 23-24 thematisiert hat, entspricht in
UB IV WB die Opposition zwischen dem „gefälligen Anschein" der äußerlich
bleibenden „Form" und dem ,wahren' Begriff von „Form" als einer „nothwen-
digen Gestaltung" (KSA 1, 457, 15-21). Gegen den Kult der „schönen Form"
polemisiert N. vor allem im Hinblick auf Eduard Hanslick, der im 19. Jahrhun-
dert ein berühmter Musik-Kritiker und Musik-Theoretiker, zugleich aber auch
ein Gegner Richard Wagners war. N. hatte Hanslicks Werk Vom Musikalisch-
Schönen. Ein Beitrag zur Revision der Ästhetik der Tonkunst (1854, 3. Aufl. 1865)
in seiner persönlichen Bibliothek (NPB 275). In diesem Buch differenziert Hans-
lick zwischen Form und Inhalt der Musik und grenzt bereits in einer Kapitel-
überschrift das „ästhetische Aufnehmen der Musik gegenüber dem pathologi-
schen" ab. Seines Erachtens werden durch Melodie, Harmonie und Rhythmus
„Musikalische Ideen" ausgedrückt (Hanslick 2010, 52). Und Hanslick fährt fort:
„In welcher Weise uns die Musik schöne Formen ohne den Inhalt eines be-
stimmten Affectes bringen kann, zeigt uns recht treffend ein Zweig der Orna-
mentik in der bildenden Kunst: die Arabeske", die „in sinnigem Wechsel von
Ruhe und Anspannung" das Auge immer wieder überrascht (ebd., 53). Analog
charakterisiert Hanslick die Musik, wenn er die rhetorische Frage formuliert:
„Denken wir uns vollends diese lebendige Arabeske als thätige Ausströmung
eines künstlerischen Geistes, der die ganze Fülle seiner Phantasie unablässig
in die Adern dieser Bewegung ergießt, wird dieser Eindruck dem musikalischen
nicht sehr nahekommend sein?" (ebd., 53). Hanslick grenzt die ästhetische
Wirkung der Musik entschieden von der bloß pathologischen ab, welche die
Hörer erfahren, die nur „das Elementarische der Musik in passiver Empfäng-
lichkeit auf sich wirken lassen" (ebd., 88). Dezidiert erklärt er: „Ein Erleiden
unmotivirter ziel- und stoffloser Affecte durch eine Macht, die in keinem Rap-
port zu unserm Wollen und Denken steht, ist des Menschengeistes unwürdig"
(ebd., 91). Zu Wagners Musikästhetik vgl. NK 454, 11-14