Stellenkommentar UB III SE 6, KSA 1, S. 392-393 219
von Sklaverei mit diesen Implikationen und die Charakterisierung der „geplag-
ten Sklaven der drei M, des Moments, der Meinungen und der Moden" im vor-
liegenden Kontext stimmen insofern überein, als ihnen eine Heteronomie ge-
meinsam ist, die den Menschen deformiert und ihn seinem eigentlichen Wesen
entfremdet. Nicht allein die Sklaven-Vorstellung adaptiert N. von Schopenhauer,
darüber hinaus übernimmt er von ihm auch die despektierliche Beschreibung
der großen Masse der Menschen als „Fabrikwaare der Natur, wie sie solche
täglich zu Tausenden hervorbringt" (WWV I, § 36, Hü 220). Analog: PP I,
Hü 189, 209. So erklärt N. in UB III SE unter Rekurs auf Schopenhauer: „Wenn
der grosse Denker die Menschen verachtet, so verachtet er ihre Faulheit: denn
ihrethalben erscheinen sie als Fabrikwaare" (338, 5-7). Weitere Belege für die
von Schopenhauer angeregte Sklaven- und Fabrik-Metaphorik N.s finden sich
in NK 300, 25-29. N. nutzt diese Vorstellungsbilder, um sie in verschiedenen
Zusammenhängen seiner frühen Werke kulturkritisch zu akzentuieren und sie
dabei zugleich mit seinem geistesaristokratischen Anspruch und seinem Postu-
lat ,unzeitgemäßer' Autonomie zu verbinden.
392, 20-25 Mehrmals ist mir schon, wenn ich Jemandem die Abwesenheit einer
deutschen Kultur vor Augen stellte, eingewendet worden: „aber diese Abwesen-
heit ist ja ganz natürlich, denn die Deutschen sind bisher zu arm und bescheiden
gewesen. Lassen Sie unsre Landsleute nur erst reich und selbstbewusst werden,
dann werden sie auch eine Kultur haben!"] Bei dieser Formulierung N.s scheint
es sich nicht um ein Zitat zu handeln, sondern lediglich um eine dialogische
Auflockerung. Dafür sprechen auch die Textvarianten des Passus in den Vor-
stufen. Vgl. NL 1874, 35 [12], KSA 7, 818. Noch stärkere textliche Abweichungen
lässt eine weitere Fassung erkennen, über die der Kritische Apparat in KGW III
5/2, 1267, 1-7 Auskunft gibt.
392, 34 Scheelsucht] Das Adjektiv ,scheel' hat ein ganzes Spektrum von Be-
deutungen: abschätzig, kritisch, missgünstig, misstrauisch, neidisch, schief,
skeptisch. Das inzwischen veraltete Substantiv ,Scheelsucht' wird heute vor
allem durch ,Neid' oder ,Missgunst' ersetzt. (Wer jemanden mit scheelem Blick
ansieht, lässt damit eine auf Missgunst, Neid, Misstrauen oder Geringschät-
zung beruhende ablehnende oder feindselige Haltung erkennen.)
393, 9-10 „Kultur der interessanten Form!"] Anzunehmen ist eine implizite Be-
zugnahme auf Eduard Hanslicks Werk Vom Musikalisch-Schönen. Ein Beitrag
zur Revision der Ästhetik der Tonkunst (1854, 3. Aufl. 1865), in dem wiederholt
von der ,schönen Form' der Musik die Rede ist. Zu Hanslick vgl. NK 392, 2-30.
393, 27-28 das eigenthümliche Wesen ihrer Diener, der Gelehrten] Dieses
Thema behandelt N. ausführlich (bis 400, 18). Dort, wo er den Gelehrten als
von Sklaverei mit diesen Implikationen und die Charakterisierung der „geplag-
ten Sklaven der drei M, des Moments, der Meinungen und der Moden" im vor-
liegenden Kontext stimmen insofern überein, als ihnen eine Heteronomie ge-
meinsam ist, die den Menschen deformiert und ihn seinem eigentlichen Wesen
entfremdet. Nicht allein die Sklaven-Vorstellung adaptiert N. von Schopenhauer,
darüber hinaus übernimmt er von ihm auch die despektierliche Beschreibung
der großen Masse der Menschen als „Fabrikwaare der Natur, wie sie solche
täglich zu Tausenden hervorbringt" (WWV I, § 36, Hü 220). Analog: PP I,
Hü 189, 209. So erklärt N. in UB III SE unter Rekurs auf Schopenhauer: „Wenn
der grosse Denker die Menschen verachtet, so verachtet er ihre Faulheit: denn
ihrethalben erscheinen sie als Fabrikwaare" (338, 5-7). Weitere Belege für die
von Schopenhauer angeregte Sklaven- und Fabrik-Metaphorik N.s finden sich
in NK 300, 25-29. N. nutzt diese Vorstellungsbilder, um sie in verschiedenen
Zusammenhängen seiner frühen Werke kulturkritisch zu akzentuieren und sie
dabei zugleich mit seinem geistesaristokratischen Anspruch und seinem Postu-
lat ,unzeitgemäßer' Autonomie zu verbinden.
392, 20-25 Mehrmals ist mir schon, wenn ich Jemandem die Abwesenheit einer
deutschen Kultur vor Augen stellte, eingewendet worden: „aber diese Abwesen-
heit ist ja ganz natürlich, denn die Deutschen sind bisher zu arm und bescheiden
gewesen. Lassen Sie unsre Landsleute nur erst reich und selbstbewusst werden,
dann werden sie auch eine Kultur haben!"] Bei dieser Formulierung N.s scheint
es sich nicht um ein Zitat zu handeln, sondern lediglich um eine dialogische
Auflockerung. Dafür sprechen auch die Textvarianten des Passus in den Vor-
stufen. Vgl. NL 1874, 35 [12], KSA 7, 818. Noch stärkere textliche Abweichungen
lässt eine weitere Fassung erkennen, über die der Kritische Apparat in KGW III
5/2, 1267, 1-7 Auskunft gibt.
392, 34 Scheelsucht] Das Adjektiv ,scheel' hat ein ganzes Spektrum von Be-
deutungen: abschätzig, kritisch, missgünstig, misstrauisch, neidisch, schief,
skeptisch. Das inzwischen veraltete Substantiv ,Scheelsucht' wird heute vor
allem durch ,Neid' oder ,Missgunst' ersetzt. (Wer jemanden mit scheelem Blick
ansieht, lässt damit eine auf Missgunst, Neid, Misstrauen oder Geringschät-
zung beruhende ablehnende oder feindselige Haltung erkennen.)
393, 9-10 „Kultur der interessanten Form!"] Anzunehmen ist eine implizite Be-
zugnahme auf Eduard Hanslicks Werk Vom Musikalisch-Schönen. Ein Beitrag
zur Revision der Ästhetik der Tonkunst (1854, 3. Aufl. 1865), in dem wiederholt
von der ,schönen Form' der Musik die Rede ist. Zu Hanslick vgl. NK 392, 2-30.
393, 27-28 das eigenthümliche Wesen ihrer Diener, der Gelehrten] Dieses
Thema behandelt N. ausführlich (bis 400, 18). Dort, wo er den Gelehrten als