220 Schopenhauer als Erzieher
Mixtur, ja geradezu als „chemische Verbindung" (399, 24) heterogener „Antrie-
be und Reize" (394, 25-26) beschreibt, erhält seine Darstellung den Charakter
einer pointierten Gelehrtensatire (394, 26 - 399, 28). Indem N. „die Genie's und
die Gelehrten" kontrastiert (400, 1), nimmt er einen Topos auf, der sich bereits
in der Geniezeit des Sturm und Drang ausbildete und in Goethes Faust dann
eine besonders prägnante Gestaltung fand: durch die Gegenüberstellung der
Figuren Faust und Wagner. In UB III SE finden sich zahlreiche Reminiszenzen
an Goethes Faust: durch implizite Zitate, Paraphrasen und Anspielungen (vgl.
dazu 360, 10-11; 361, 30-33; 366, 23-27; 368, 26; 370, 4-5, 8-32; 371, 31-32; 417,
19-21 und Kommentare dazu). - Von zentraler Bedeutung für N.s Ausführun-
gen zum Gelehrtentypus in UB III SE sind Schopenhauers Darlegungen in Kapi-
tel 21 „Ueber Gelehrsamkeit und Gelehrte" der Parerga und Paralipomena II
und einige Partien in seiner Schrift Ueber die Universitäts-Philosophie. Den
Typus des akademischen Gelehrten kritisieren Schopenhauer und N. als ver-
schroben' (PP I, Hü 177, 179; SE 344, 407, 408, 412), überangepasst, schmeichle-
risch, devot (PP I, Hü 206; SE 395, 411, 414), geltungssüchtig (PP I, Hü 162;
SE 411) sowie als korrumpierbar durch Geld, Titel, Ämter und Reputation (PP I,
Hü 164, 166, 167, 190, 196; SE 387, 388, 398, 400). Zu den Affinitäten zwischen
Schopenhauers und N.s Gelehrtenkritik vgl. die ausführlichen Vergleiche in
Kapitel III.4 des Überblickskommentars.
N. selbst greift auf seine Gelehrtenkritik später auch in Jenseits von Gut und
Böse zurück (JGB 6): Dort charakterisiert er den „Erkenntnisstrieb" der Gelehr-
ten als „irgend ein kleines unabhängiges Uhrwerk, welches, gut aufgezogen,
tapfer darauf los arbeitet, ohne dass die gesammten übrigen Triebe des Ge-
lehrten wesentlich dabei betheiligt sind. Die eigentlichen ,Interessen' des Ge-
lehrten liegen deshalb gewöhnlich ganz wo anders, etwa in der Familie oder
im Gelderwerb oder in der Politik; ja es ist beinahe gleichgültig, ob seine kleine
Maschine an diese oder jene Stelle der Wissenschaft gestellt wird, und ob der
,hoffnungsvolle' junge Arbeiter aus sich einen guten Philologen oder Pilzeken-
ner oder Chemiker macht; - es bezeichnet ihn nicht, dass er dieses oder
jenes wird. Umgekehrt ist an dem Philosophen ganz und gar nichts Unpersönli-
ches, und insbesondere giebt seine Moral ein entschiedenes und entscheiden-
des Zeugniss dafür ab, wer er ist - dass heisst, in welcher Rangordnung die
innersten Triebe seiner Natur zu einander gestellt sind" (vgl. KSA 5, 20, 20-
34). In diesem Sinne leitet N. JGB 6 mit der Feststellung ein, „jede grosse Philo-
sophie bisher war [...] das Selbstbekenntniss ihres Urhebers" (KSA 5, 19, 29-
30), so dass nicht „ein ,Trieb zur Erkenntniss' der Vater der Philosophie ist",
sondern „ein andrer Trieb", der sich „der Erkenntniss (und der Verkenntniss!)
nur wie eines Werkzeugs bedient hat" (KSA 5, 20, 7-9).
In seinen Aufzeichnungen zur Vorbereitung eines Freiburger Seminars zu
N.s UB II HL (abgehalten im Wintersemester 1938/39) charakterisiert Heidegger
Mixtur, ja geradezu als „chemische Verbindung" (399, 24) heterogener „Antrie-
be und Reize" (394, 25-26) beschreibt, erhält seine Darstellung den Charakter
einer pointierten Gelehrtensatire (394, 26 - 399, 28). Indem N. „die Genie's und
die Gelehrten" kontrastiert (400, 1), nimmt er einen Topos auf, der sich bereits
in der Geniezeit des Sturm und Drang ausbildete und in Goethes Faust dann
eine besonders prägnante Gestaltung fand: durch die Gegenüberstellung der
Figuren Faust und Wagner. In UB III SE finden sich zahlreiche Reminiszenzen
an Goethes Faust: durch implizite Zitate, Paraphrasen und Anspielungen (vgl.
dazu 360, 10-11; 361, 30-33; 366, 23-27; 368, 26; 370, 4-5, 8-32; 371, 31-32; 417,
19-21 und Kommentare dazu). - Von zentraler Bedeutung für N.s Ausführun-
gen zum Gelehrtentypus in UB III SE sind Schopenhauers Darlegungen in Kapi-
tel 21 „Ueber Gelehrsamkeit und Gelehrte" der Parerga und Paralipomena II
und einige Partien in seiner Schrift Ueber die Universitäts-Philosophie. Den
Typus des akademischen Gelehrten kritisieren Schopenhauer und N. als ver-
schroben' (PP I, Hü 177, 179; SE 344, 407, 408, 412), überangepasst, schmeichle-
risch, devot (PP I, Hü 206; SE 395, 411, 414), geltungssüchtig (PP I, Hü 162;
SE 411) sowie als korrumpierbar durch Geld, Titel, Ämter und Reputation (PP I,
Hü 164, 166, 167, 190, 196; SE 387, 388, 398, 400). Zu den Affinitäten zwischen
Schopenhauers und N.s Gelehrtenkritik vgl. die ausführlichen Vergleiche in
Kapitel III.4 des Überblickskommentars.
N. selbst greift auf seine Gelehrtenkritik später auch in Jenseits von Gut und
Böse zurück (JGB 6): Dort charakterisiert er den „Erkenntnisstrieb" der Gelehr-
ten als „irgend ein kleines unabhängiges Uhrwerk, welches, gut aufgezogen,
tapfer darauf los arbeitet, ohne dass die gesammten übrigen Triebe des Ge-
lehrten wesentlich dabei betheiligt sind. Die eigentlichen ,Interessen' des Ge-
lehrten liegen deshalb gewöhnlich ganz wo anders, etwa in der Familie oder
im Gelderwerb oder in der Politik; ja es ist beinahe gleichgültig, ob seine kleine
Maschine an diese oder jene Stelle der Wissenschaft gestellt wird, und ob der
,hoffnungsvolle' junge Arbeiter aus sich einen guten Philologen oder Pilzeken-
ner oder Chemiker macht; - es bezeichnet ihn nicht, dass er dieses oder
jenes wird. Umgekehrt ist an dem Philosophen ganz und gar nichts Unpersönli-
ches, und insbesondere giebt seine Moral ein entschiedenes und entscheiden-
des Zeugniss dafür ab, wer er ist - dass heisst, in welcher Rangordnung die
innersten Triebe seiner Natur zu einander gestellt sind" (vgl. KSA 5, 20, 20-
34). In diesem Sinne leitet N. JGB 6 mit der Feststellung ein, „jede grosse Philo-
sophie bisher war [...] das Selbstbekenntniss ihres Urhebers" (KSA 5, 19, 29-
30), so dass nicht „ein ,Trieb zur Erkenntniss' der Vater der Philosophie ist",
sondern „ein andrer Trieb", der sich „der Erkenntniss (und der Verkenntniss!)
nur wie eines Werkzeugs bedient hat" (KSA 5, 20, 7-9).
In seinen Aufzeichnungen zur Vorbereitung eines Freiburger Seminars zu
N.s UB II HL (abgehalten im Wintersemester 1938/39) charakterisiert Heidegger