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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0258
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Stellenkommentar UB III SE 6, KSA 1, S. 398 231

den" (368, 6), die er wenig später wieder aufnimmt (vgl. 387, 20). Während N.
den ökonomischen Pragmatismus der Gelehrten insgesamt kritisch bewertet,
exemplifiziert Schopenhauer diese Fehlhaltung in seiner Schrift Ueber die Uni-
versitäts-Philosophie durch den Materialismus der akademischen Philosophen,
die angeblich ganz auf ihre egoistischen Interessen fokussiert sind und dabei
ihre eigentliche Aufgabe vernachlässigen: die kompromisslose „Wahrheitsfor-
schung" (PP I, Hü 149). Die Mentalität der Universitätsphilosophen, deren „ei-
gentlicher Ernst darin liegt, mit Ehren ein redliches Auskommen für sich [...] zu
erwerben" (PP I, Hü 151), kontrastiert Schopenhauer mit dem „tiefbewegte[n]
Gemüth eines wirklichen Philosophen, dessen ganzer und großer Ernst im Auf-
suchen eines Schlüssels zu unserm so räthselhaften wie mißlichen Daseyn
liegt" (PP I, Hü 151).
Laut Schopenhauer hat die ernsthafte „Forschung nach Wahrheit" von den
„zu Staatszwecken gedungenen Geschäftsmännern der Katheder" nichts zu er-
warten (PP I, Hü 158), weil diese stets der Maxime folgen: „primum vivere,
deinde philosophari" (PP I, Hü 158). Im „Rückblick auf das ganze Treiben mit
der Philosophie auf Universitäten, seit Kants Abgange," konstatiert er, dass
„die Leute, die von der Philosophie leben wollen, höchst selten eben Die seyn
werden, welche eigentlich für sie leben, bisweilen aber sogar Die seyn kön-
nen, welche versteckterweise gegen sie machiniren" (PP I, Hü 192) - als
„Feinde der Philosophie" (PP I, Hü 196), die „dem Wirken der ächten Philoso-
phen hemmend und feindlich entgegentreten, ja, sich gegen sie verschwören"
(PP I, Hü 165). Wie an späterer Stelle von UB III SE auch N. (421, 32 - 422, 16)
plädiert deshalb bereits Schopenhauer für die Abschaffung (PP I, Hü 167, 192-
193, 207-208) der allzu „lukrativen Philosophie" (PP I, Hü 159, 201), um ihre
Pervertierung zum staatlich subventionierten universitären ,Brotgewerbe'
(PP I, Hü 164, 196, 207; SE 398, 400, 411, 413) künftig zu verhindern (PP I,
Hü 167) und dadurch zur „Förderung der Philosophie" beizutragen (PP I,
Hü 207). Schopenhauer versucht seine Urteile unter Rekurs auf die antike Tra-
dition zu fundieren: Schon Platon habe gezeigt, dass „die Philosophie sich
nicht zum Brodgewerbe eigne"; daher habe er die Weisheitsliebe ,echter' Philo-
sophen mit den bloß auf das „Geldverdienen" zielenden Interessen der Sophis-
ten kontrastiert, deren Verhalten mit Prostitution zu vergleichen sei (PP I,
Hü 164).
Ähnlich wie N. in UB III SE die Mentalität der Gelehrten beanstandet, die
primär darauf fixiert seien, „Brod und Ehren" zu erwerben (398, 6), kritisiert
er zuvor bereits in UB I DS die vorrangige Absicht, „Brot zu verdienen oder
Ehrenstellen zu erjagen" (KSA 1, 203, 17); vgl. auch NK dazu. - Mit seinem
Verdikt über die Gelehrten und ihre pragmatische Motivation bezieht sich N.
nicht allein auf Schopenhauers Schrift Ueber die Universitäts-Philosophie, son-
 
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