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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0262
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Stellenkommentar UB III SE 6, KSA 1, S. 399-401 235

die Vorlesungen Jacob Burckhardts (1818-1897), die 1905 postum unter dem
Titel Weltgeschichtliche Betrachtungen veröffentlicht wurden. Burckhardt, der
seit 1858 in Basel als Professor für Geschichte und Kunstgeschichte tätig war
und von N. sehr geschätzt wurde, weist der Kultur einen höheren Status zu als
der Religion und dem Staat, den er sogar abwertet. Auch Wagners radikale
Negation des Staates spiegelt sich in zahlreichen Äußerungen N.s wider.
401, 4 Sokrates] Von Sokrates (469-399 v. Chr.) sind keine Schriften überliefert.
Wegen angeblicher Verführung der Jugend zur Asebeia (doeßeia), also zur Gott-
losigkeit, wurde er in Athen zum Tode durch das Gift des Schierlingsbechers
verurteilt. Sein Schüler Platon, dessen eigene Schriften wichtige Informationen
über das Leben und die philosophische Lehre des Sokrates enthalten, stellt
auch seinen Tod dar: in den Dialogen Apologie und Kriton. In den Kapiteln 12
bis 14 der Geburt der Tragödie repräsentiert Sokrates den Typus des ungenialen
„theoretischen Menschen". N. behauptet dort, ähnlich wie Euripides habe auch
Sokrates aufgrund seines Logozentrismus den Niedergang der tragischen
Kunst und des ,Geistes der Musik' verschuldet. Erst in Erwartung seines Todes
habe sich Sokrates aus dem Gefühl des Ungenügens an seinem bisherigen Ha-
bitus in einem dialektischen ,Umschlag' der Musik zugewandt. N. macht diesen
,Umschlag' zum psychologischen Muster der von ihm erhofften kulturellen
Wende von der rationalistischen Wissenschaftskultur des 19. Jahrhunderts ins
Dionysische-Irrationale. Dass Sokrates im Kontext von 401, 4 als Verkörperung
des ,Genius' erscheint, ist durch das bekannte ,Daimonion' des Sokrates be-
dingt, eine innere Stimme, auf die sich der platonische Sokrates selbst beruft.
Bereits in der Tradition wurde dieses ,Daimonion' im Sinne von ,Genius' gedeu-
tet, etwa durch Hamann, dessen Werk N. kannte. Hamann hatte in seinen So-
kratischen Denkwürdigkeiten (1759) das Daimonion des Sokrates als seinen ,Ge-
nius' dargestellt. Zu N.s Perspektiven auf Sokrates vgl. die Monographie von
Hermann Josef Schmidt 1969.
401, 13-14 Der Glaube an eine metaphysische Bedeutung der
Kultur] Im „Vorwort an Richard Wagner", das N. der Geburt der Tragödie vo-
ranstellte, erklärt er, dass er „von der Kunst als der höchsten Aufgabe und
der eigentlich metaphysischen Thätigkeit dieses Lebens" im Sinne Wagners
„überzeugt" sei (KSA 1, 24, 14-16).
401, 24-25 Bildungsphilister] In UB I DS polemisiert N. gegen David Friedrich
Strauß als den Prototyp eines Bildungsphilisters. Zu den Implikationen dieses
pejorativen Begriffs vgl. NK 352, 27. Vgl. auch die Kommentare zu UB I DS
(KSA 1, 165, 6), wo N. den Begriff des ,Bildungsphilisters' einführt, und zu UB
II HL (KSA 1, 326, 13-14). - Schopenhauer gebraucht oft den nicht spezifizier-
ten Begriff ,Philister', den N. in UB III SE ebenfalls verwendet (vgl. 370, 31; 371,
 
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