248 Schopenhauer als Erzieher
dings führt einen energischen „Kampf" für eine „Cultur", die er vor allem im
Sinne Wagners interpretiert. Zu diesem von N. favorisierten Kampf-Szenario im
Kontext seiner Kulturkritik vgl. NK 1/1, 57-58.
407, 29-31 weshalb eine hellere Nachwelt unserer Zeit im höchsten Maasse den
Vorwurf des Verdrehten und Verwachsenen machen wird] Aus heuristischen
Gründen bezieht N. hier erneut eine ,unzeitgemäße' Position außerhalb seines
eigenen historischen Horizonts. Zuvor reflektiert er in UB III SE bereits mehr-
fach über die Nachwelt (338-339, 364, 401). Indem N. hypothetisch einen zu-
künftigen Standpunkt aus der Perspektive nachfolgender Generationen ein-
nimmt, versucht er seiner auf die Gegenwart bezogenen Kulturkritik schärferes
Profil und größeren Nachdruck zu verleihen. Damit knüpft N. an eine frühere
Textpassage in UB III SE (364) an, wo er seine ,unzeitgemäße' Kulturkritik
ebenfalls von einer Metaperspektive jenseits der eigenen Epoche aus formu-
liert. Eine hypothetische Retrospektive aus der Zukunft auf die Gegenwart, auf
die N. zurückgreifen konnte, findet sich bereits in Schopenhauers Schrift Ueber
die Universitäts-Philosophie: Schopenhauers pejoratives Urteil gilt hier der bor-
nierten „Jetztzeit", der er „in einem Zauberspiegel zeigen" möchte, „wie sie in
den Augen der Nachwelt sich ausnehmen wird" (PP I, Hü 185). Vgl. darüber
hinaus die Schopenhauer-Zitate in NK 346, 12-14.
Richard Wagner entwirft eine hypothetische Retrospektive von der Zukunft
auf die Jetztzeit, etwa am Ende seiner theoretischen Hauptschrift Oper und Dra-
ma. N. imaginiert in der Schlusspartie der Geburt der Tragödie eine Begegnung
zwischen einem modernen Gegenwartsmenschen und einem antiken Griechen
(vgl. hierzu NK 1/1, 411). Schopenhauer weist prononciert auf das „Tribunal der
Nachwelt" hin, dessen „Schandglocke [...] sogar über ganze Zeitalter geläutet
werden kann" (PP I, Hü 155). Und er beschreibt die „Verachtung [...] des Zeital-
ters bei der Nachwelt" als zu erwartende Konsequenz des „Verrathes an der
Philosophie" (PP I, Hü 188). Inwiefern N.s ,unzeitgemäße' Metaperspektive
Schopenhauer gilt, zeigt seine Feststellung, dass „wir Alle durch Schopenhauer
uns gegen unsre Zeit erziehen können - weil wir den Vortheil haben, durch
ihn diese Zeit wirklich zu kennen" (363, 25-27). Den unzeitgemäßen Sonder-
status Wagners und Schopenhauers betont N. bereits am 11. März 1870 in ei-
nem Brief an Carl von Gersdorff, in dem er erklärt: „der unglaubliche Ernst
und die deutsche Vertiefung in der Welt- und Kunstanschauung Wagners, wie
sie aus jedem Tone quillt, ist den meisten Menschen unsrer Jetztzeit' ein Greu-
el, wie Schopenhauer's Askesis und Verneinung des Willens" (KSB 3, Nr. 65,
S. 105). Und im Februar 1870 schreibt N. in einem Brief an Paul Deussen: „Frei-
lich habe ich das unschätzbare Glück, den wahren Geistesbruder Schopenhau-
ers, der sich zu ihm wie Schiller zu Kant verhält, als wirklichen Freund zu
besitzen, einen Genius, der dasselbe furchtbar erhabene Loos empfangen hat,
dings führt einen energischen „Kampf" für eine „Cultur", die er vor allem im
Sinne Wagners interpretiert. Zu diesem von N. favorisierten Kampf-Szenario im
Kontext seiner Kulturkritik vgl. NK 1/1, 57-58.
407, 29-31 weshalb eine hellere Nachwelt unserer Zeit im höchsten Maasse den
Vorwurf des Verdrehten und Verwachsenen machen wird] Aus heuristischen
Gründen bezieht N. hier erneut eine ,unzeitgemäße' Position außerhalb seines
eigenen historischen Horizonts. Zuvor reflektiert er in UB III SE bereits mehr-
fach über die Nachwelt (338-339, 364, 401). Indem N. hypothetisch einen zu-
künftigen Standpunkt aus der Perspektive nachfolgender Generationen ein-
nimmt, versucht er seiner auf die Gegenwart bezogenen Kulturkritik schärferes
Profil und größeren Nachdruck zu verleihen. Damit knüpft N. an eine frühere
Textpassage in UB III SE (364) an, wo er seine ,unzeitgemäße' Kulturkritik
ebenfalls von einer Metaperspektive jenseits der eigenen Epoche aus formu-
liert. Eine hypothetische Retrospektive aus der Zukunft auf die Gegenwart, auf
die N. zurückgreifen konnte, findet sich bereits in Schopenhauers Schrift Ueber
die Universitäts-Philosophie: Schopenhauers pejoratives Urteil gilt hier der bor-
nierten „Jetztzeit", der er „in einem Zauberspiegel zeigen" möchte, „wie sie in
den Augen der Nachwelt sich ausnehmen wird" (PP I, Hü 185). Vgl. darüber
hinaus die Schopenhauer-Zitate in NK 346, 12-14.
Richard Wagner entwirft eine hypothetische Retrospektive von der Zukunft
auf die Jetztzeit, etwa am Ende seiner theoretischen Hauptschrift Oper und Dra-
ma. N. imaginiert in der Schlusspartie der Geburt der Tragödie eine Begegnung
zwischen einem modernen Gegenwartsmenschen und einem antiken Griechen
(vgl. hierzu NK 1/1, 411). Schopenhauer weist prononciert auf das „Tribunal der
Nachwelt" hin, dessen „Schandglocke [...] sogar über ganze Zeitalter geläutet
werden kann" (PP I, Hü 155). Und er beschreibt die „Verachtung [...] des Zeital-
ters bei der Nachwelt" als zu erwartende Konsequenz des „Verrathes an der
Philosophie" (PP I, Hü 188). Inwiefern N.s ,unzeitgemäße' Metaperspektive
Schopenhauer gilt, zeigt seine Feststellung, dass „wir Alle durch Schopenhauer
uns gegen unsre Zeit erziehen können - weil wir den Vortheil haben, durch
ihn diese Zeit wirklich zu kennen" (363, 25-27). Den unzeitgemäßen Sonder-
status Wagners und Schopenhauers betont N. bereits am 11. März 1870 in ei-
nem Brief an Carl von Gersdorff, in dem er erklärt: „der unglaubliche Ernst
und die deutsche Vertiefung in der Welt- und Kunstanschauung Wagners, wie
sie aus jedem Tone quillt, ist den meisten Menschen unsrer Jetztzeit' ein Greu-
el, wie Schopenhauer's Askesis und Verneinung des Willens" (KSB 3, Nr. 65,
S. 105). Und im Februar 1870 schreibt N. in einem Brief an Paul Deussen: „Frei-
lich habe ich das unschätzbare Glück, den wahren Geistesbruder Schopenhau-
ers, der sich zu ihm wie Schiller zu Kant verhält, als wirklichen Freund zu
besitzen, einen Genius, der dasselbe furchtbar erhabene Loos empfangen hat,