Stellenkommentar UB III SE 7, KSA 1, S. 408 253
wurde ich vom Jammer des Lebens so ergriffen, wie Buddha in seiner Ju-
gend, als er Krankheit, Alter, Schmerz und Tod erblickte. Die Wahrheit, welche
laut und deutlich aus der Welt sprach, überwandt bald die auch mir eingepräg-
ten Jüdischen Dogmen, und mein Resultat war, daß diese Welt kein Werk eines
allgütigen Wesens seyn könnte, wohl aber das eines Teufels, der Geschöpfe ins
Daseyn gerufen, um am Anblick ihrer Quaal sich zu weiden: darauf deuteten
die Data, und der Glaube, daß es so sey, gewann die Oberhand. - Allerdings
spricht aus dem menschlichen Daseyn die Bestimmung des Leidens: es
ist tief ins Leiden eingesenkt, entgeht ihm nicht, sein Fortgang und Ausgang ist
durchweg tragisch" (HN 4/1, 96). Außer konkreter eigener Lebensanschauung
erhielt die indische Philosophie zentrale Bedeutung für Schopenhauer. Nach
dem Abschluss seiner Promotion im Jahre 1813 beschäftigte er sich intensiv mit
Grundkonzepten des Buddhismus, die auf eine Erlösung vom Leiden durch
Weltabkehr, Mitleid und Askese zielen. Schopenhauers pessimistische Willens-
metaphysik wurde durch die indische Philosophie und Religion nachhaltig ge-
prägt.
Aufgrund seiner frühen Erfahrungen mit anderen Sprachen und Kulturen
entwickelte Schopenhauer kosmopolitische Überzeugungen. Auf dieser Basis
kritisiert er nationalistische Vereinnahmungen der Wissenschaft. So betont er
im Kapitel 21 „Ueber Gelehrsamkeit und Gelehrte" seiner Parerga und Paralipo-
mena II, „daß der Patriotismus, wenn er im Reiche der Wissenschaften sich
geltend machen will, ein schmutziger Geselle ist, den man hinauswerfen soll.
Denn was kann impertinenter seyn, als da, wo das rein und allgemein Mensch-
liche betrieben wird und wo Wahrheit, Klarheit und Schönheit allein gelten
sollen, seine Vorliebe für die Nation, welcher die eigene werthe Person gerade
angehört, in die Waagschale legen zu wollen und nun, aus solcher Rücksicht,
bald der Wahrheit Gewalt anzuthun, bald gegen die großen Geister fremder
Nationen ungerecht zu seyn, um die geringeren der eigenen herauszustrei-
chen" (PP II, Kap. 21, § 255, Hü 519). - In diesem Sinne betont N. im vorliegen-
den Kontext von UB III SE, Schopenhauer sei durch „keine patriotische Ein-
klemmung" verbogen gewesen (411, 23) und habe es „nicht als eine Ehre"
geschätzt, „gerade unter Deutschen geboren zu sein" (409, 3).
Indem N. die bloße Büchergelehrsamkeit mit genuiner Menschenkenntnis
kontrastiert (408, 31), schließt er an Schopenhauer an, der in seinen Parerga
und Paralipomena II im Kapitel 22 „Selbstdenken" erklärt: „Die Gelehrten sind
Die, welche in den Büchern gelesen haben; die Denker, die Genies, die Weiter-
leuchter und Förderer des Menschengeschlechts sind aber Die, welche unmit-
telbar im Buche der Welt gelesen haben" (PP II, Kap. 22, § 258, Hü 522). Scho-
penhauer hält das intensive „Lesen" für „ein bloßes Surrogat des eigenen
Denkens" und betrachtet es insofern mit Skepsis (PP II, Kap. 22, § 260, Hü 523).
wurde ich vom Jammer des Lebens so ergriffen, wie Buddha in seiner Ju-
gend, als er Krankheit, Alter, Schmerz und Tod erblickte. Die Wahrheit, welche
laut und deutlich aus der Welt sprach, überwandt bald die auch mir eingepräg-
ten Jüdischen Dogmen, und mein Resultat war, daß diese Welt kein Werk eines
allgütigen Wesens seyn könnte, wohl aber das eines Teufels, der Geschöpfe ins
Daseyn gerufen, um am Anblick ihrer Quaal sich zu weiden: darauf deuteten
die Data, und der Glaube, daß es so sey, gewann die Oberhand. - Allerdings
spricht aus dem menschlichen Daseyn die Bestimmung des Leidens: es
ist tief ins Leiden eingesenkt, entgeht ihm nicht, sein Fortgang und Ausgang ist
durchweg tragisch" (HN 4/1, 96). Außer konkreter eigener Lebensanschauung
erhielt die indische Philosophie zentrale Bedeutung für Schopenhauer. Nach
dem Abschluss seiner Promotion im Jahre 1813 beschäftigte er sich intensiv mit
Grundkonzepten des Buddhismus, die auf eine Erlösung vom Leiden durch
Weltabkehr, Mitleid und Askese zielen. Schopenhauers pessimistische Willens-
metaphysik wurde durch die indische Philosophie und Religion nachhaltig ge-
prägt.
Aufgrund seiner frühen Erfahrungen mit anderen Sprachen und Kulturen
entwickelte Schopenhauer kosmopolitische Überzeugungen. Auf dieser Basis
kritisiert er nationalistische Vereinnahmungen der Wissenschaft. So betont er
im Kapitel 21 „Ueber Gelehrsamkeit und Gelehrte" seiner Parerga und Paralipo-
mena II, „daß der Patriotismus, wenn er im Reiche der Wissenschaften sich
geltend machen will, ein schmutziger Geselle ist, den man hinauswerfen soll.
Denn was kann impertinenter seyn, als da, wo das rein und allgemein Mensch-
liche betrieben wird und wo Wahrheit, Klarheit und Schönheit allein gelten
sollen, seine Vorliebe für die Nation, welcher die eigene werthe Person gerade
angehört, in die Waagschale legen zu wollen und nun, aus solcher Rücksicht,
bald der Wahrheit Gewalt anzuthun, bald gegen die großen Geister fremder
Nationen ungerecht zu seyn, um die geringeren der eigenen herauszustrei-
chen" (PP II, Kap. 21, § 255, Hü 519). - In diesem Sinne betont N. im vorliegen-
den Kontext von UB III SE, Schopenhauer sei durch „keine patriotische Ein-
klemmung" verbogen gewesen (411, 23) und habe es „nicht als eine Ehre"
geschätzt, „gerade unter Deutschen geboren zu sein" (409, 3).
Indem N. die bloße Büchergelehrsamkeit mit genuiner Menschenkenntnis
kontrastiert (408, 31), schließt er an Schopenhauer an, der in seinen Parerga
und Paralipomena II im Kapitel 22 „Selbstdenken" erklärt: „Die Gelehrten sind
Die, welche in den Büchern gelesen haben; die Denker, die Genies, die Weiter-
leuchter und Förderer des Menschengeschlechts sind aber Die, welche unmit-
telbar im Buche der Welt gelesen haben" (PP II, Kap. 22, § 258, Hü 522). Scho-
penhauer hält das intensive „Lesen" für „ein bloßes Surrogat des eigenen
Denkens" und betrachtet es insofern mit Skepsis (PP II, Kap. 22, § 260, Hü 523).