Stellenkommentar UB III SE 7, KSA 1, S. 409 255
ständischen „besser [...] schießen lassen könnte" (Bd. IX, 566). - Wegen dieses
Testaments kritisierte Karl Gutzkow (1811-1878), einer der Anführer des „Jun-
gen Deutschland", den Philosophen schon wenige Tage nach dessen Tod in
einem „Nachruf", den er in den Unterhaltungen am häuslichen Herd publizier-
te. - Es gehört zu den Widersprüchen in N.s frühen Schriften, dass er Schopen-
hauers reaktionäre Haltung würdigt, zugleich aber auch das revolutionäre En-
gagement Wagners, der am Dresdener Aufstand 1849 teilnahm, gelten lässt.
Vgl. hierzu vor allem UB IV WB.
409, 16-17 furor philosophicus [...] furor politicus] N. treibt die Alternative zwi-
schen philosophischem und politischem Interesse bis zum Extrem einer rasen-
den Begeisterung (furor), um die Unvereinbarkeit der beiden Sphären zu beto-
nen.
409, 17-18 sich weislich hüten, jeden Tag Zeitungen zu lesen] Kritik am Journa-
lismus formuliert N. bereits in der Geburt der Tragödie: Laut N. beeinflusst „der
Journalist', der papierne Sclave des Tages" (KSA 1, 130, 20), die Bildung stär-
ker als die „höheren Lehranstalten"; von der „leichten Eleganz" der journalisti-
schen Diktion sieht N. auch die ,öffentliche Meinung' maßgeblich bestimmt
(vgl. KSA 1, 130, 18-24). Schon in der Tragödienschrift stellt er den Journalis-
mus in einen größeren kulturkritischen Kontext: „Während der Kritiker in
Theater und Concert, der Journalist in der Schule, die Presse in der Gesellschaft
zur Herrschaft gekommen war, entartete die Kunst zu einem Unterhaltungsob-
ject der niedrigsten Art, und die aesthetische Kritik wurde als das Bindemittel
einer eiteln, zerstreuten, selbstsüchtigen und überdies ärmlich-unoriginalen
Geselligkeit benutzt" (KSA 1, 144, 8-14). Auch in UB IV WB ist in pejorativem
Sinne von den Journalisten die Rede: Dort betont N. den „Mangel an Scham,
welcher den deutschen Gelehrten nicht weniger, als den deutschen Zeitungs-
schreibern zu eigen ist" (KSA 1, 478, 2-4). N.s kritische Haltung gegenüber dem
Journalismus und seinen Vertretern als Repräsentanten des Zeitgemäßen ist
durch seinen eigenen Anspruch auf ,Unzeitgemäßheit' bedingt und korrespon-
diert zugleich mit Auffassungen Schopenhauers, der in den Parerga und Para-
lipomena II „die Zeitungen" mit einem Bonmot als „Sekundenzeiger der Ge-
schichte" bezeichnet (PP II, Kap. 19, § 233, Hü 476). Zur Polemik gegen den
Journalismus in N.s Frühwerk vor dem Hintergrund der Konjunktur politisch
engagierter Publizistik seit den 1830er Jahren vgl. ausführlicher NK 365, 6-7
und NK 1/1, 368-371. Zur übergreifenden Thematik der „öffentlichen Meinung"
vgl. ergänzend die Darlegungen in NK 159, 2 und NK 425, 27. Zum thematischen
Zusammenhang mit N.s Bildungskonzepten und seiner Kritik an bloßer ,Gebil-
detheit' vgl. die Informationen in NK 366, 18-20.
409, 26-28 wenn schon mit Widerstreben, in einem kaufmännischen Comptoir
arbeitete] Schopenhauer war von seinem Vater zum Kaufmannsberuf bestimmt
ständischen „besser [...] schießen lassen könnte" (Bd. IX, 566). - Wegen dieses
Testaments kritisierte Karl Gutzkow (1811-1878), einer der Anführer des „Jun-
gen Deutschland", den Philosophen schon wenige Tage nach dessen Tod in
einem „Nachruf", den er in den Unterhaltungen am häuslichen Herd publizier-
te. - Es gehört zu den Widersprüchen in N.s frühen Schriften, dass er Schopen-
hauers reaktionäre Haltung würdigt, zugleich aber auch das revolutionäre En-
gagement Wagners, der am Dresdener Aufstand 1849 teilnahm, gelten lässt.
Vgl. hierzu vor allem UB IV WB.
409, 16-17 furor philosophicus [...] furor politicus] N. treibt die Alternative zwi-
schen philosophischem und politischem Interesse bis zum Extrem einer rasen-
den Begeisterung (furor), um die Unvereinbarkeit der beiden Sphären zu beto-
nen.
409, 17-18 sich weislich hüten, jeden Tag Zeitungen zu lesen] Kritik am Journa-
lismus formuliert N. bereits in der Geburt der Tragödie: Laut N. beeinflusst „der
Journalist', der papierne Sclave des Tages" (KSA 1, 130, 20), die Bildung stär-
ker als die „höheren Lehranstalten"; von der „leichten Eleganz" der journalisti-
schen Diktion sieht N. auch die ,öffentliche Meinung' maßgeblich bestimmt
(vgl. KSA 1, 130, 18-24). Schon in der Tragödienschrift stellt er den Journalis-
mus in einen größeren kulturkritischen Kontext: „Während der Kritiker in
Theater und Concert, der Journalist in der Schule, die Presse in der Gesellschaft
zur Herrschaft gekommen war, entartete die Kunst zu einem Unterhaltungsob-
ject der niedrigsten Art, und die aesthetische Kritik wurde als das Bindemittel
einer eiteln, zerstreuten, selbstsüchtigen und überdies ärmlich-unoriginalen
Geselligkeit benutzt" (KSA 1, 144, 8-14). Auch in UB IV WB ist in pejorativem
Sinne von den Journalisten die Rede: Dort betont N. den „Mangel an Scham,
welcher den deutschen Gelehrten nicht weniger, als den deutschen Zeitungs-
schreibern zu eigen ist" (KSA 1, 478, 2-4). N.s kritische Haltung gegenüber dem
Journalismus und seinen Vertretern als Repräsentanten des Zeitgemäßen ist
durch seinen eigenen Anspruch auf ,Unzeitgemäßheit' bedingt und korrespon-
diert zugleich mit Auffassungen Schopenhauers, der in den Parerga und Para-
lipomena II „die Zeitungen" mit einem Bonmot als „Sekundenzeiger der Ge-
schichte" bezeichnet (PP II, Kap. 19, § 233, Hü 476). Zur Polemik gegen den
Journalismus in N.s Frühwerk vor dem Hintergrund der Konjunktur politisch
engagierter Publizistik seit den 1830er Jahren vgl. ausführlicher NK 365, 6-7
und NK 1/1, 368-371. Zur übergreifenden Thematik der „öffentlichen Meinung"
vgl. ergänzend die Darlegungen in NK 159, 2 und NK 425, 27. Zum thematischen
Zusammenhang mit N.s Bildungskonzepten und seiner Kritik an bloßer ,Gebil-
detheit' vgl. die Informationen in NK 366, 18-20.
409, 26-28 wenn schon mit Widerstreben, in einem kaufmännischen Comptoir
arbeitete] Schopenhauer war von seinem Vater zum Kaufmannsberuf bestimmt