Stellenkommentar UB III SE 8, KSA 1, S. 421-422 279
422, 14-16 das ist jedenfalls mehr anzurathen, als irgend eine Philosophie [...]
öffentlich, von Staatswegen, zu patronisiren"] In der Reinschrift, also in der Vor-
lage zum Druckmanuskript, steht die folgende, später getilgte Fortsetzung:
„Hiermit bin ich im Bereich der praktischen Vorschläge: ich empfehle also, als
erste und wesentliche Maassregel, die Aufhebung aller philosophi-
schen Professuren an allen höheren Lehranstalten. Dass jede öffentliche
Anerkennung der Philosophie für den Staat überflüssig, für die Philosophie
selbst verderblich sei, will ich jetzt ohne weitere Umstände beweisen" (KSA 14,
79-80).
422, 17-23 Dem Staat ist es nie an der Wahrheit gelegen, sondern immer nur
an der ihm nützlichen Wahrheit [...], sei dies nun Wahrheit, Halbwahrheit oder
Irrthum. Ein Bündniss von Staat und Philosophie hat also nur dann einen Sinn,
wenn die Philosophie versprechen kann, dem Staat unbedingt nützlich zu sein,
das heisst den Staatsnutzen höher zu stellen als die Wahrheit.] Wie schon in
früheren Partien (etwa in 414, 32 - 415, 19) setzt N. hier und im weiteren Kon-
text den Wahrheitsbegriff inflationär ein, um ihn in eine radikale Opposition
zum „Staat" zu bringen. Dabei ist er von der prinzipiellen Staatsfeindschaft
beeinflusst, die Wagner in seiner noch von revolutionärem Impetus bestimm-
ten theoretischen Hauptschrift Oper und Drama (1851) zum Ausdruck bringt
und in dem Postulat kulminieren lässt: „Den Staat vernichten!" (GSD IV, 66-
67). N. folgt Wagners Staatskritik auch später noch, besonders häufig in seinen
Nachlass-Notizen. Darüber hinaus wirkte bei N. auch Jacob Burckhardts Dis-
tanzierung vom Staat zugunsten der ,Kultur' fort.
Von zentraler Bedeutung für N.s Vorbehalte gegenüber dem Staat war aller-
dings Schopenhauers Polemik gegen Hegel und dessen Affirmation des „Staa-
tes" (vgl. dazu 423, 24-34). Dass N. außer der Opposition von „Wahrheit" und
„Staat" noch diejenige von „Wahrheit" und „Nutzen" statuiert, hängt mit sei-
nen Attacken auf den von Jeremy Bentham (1748-1832) und John Stuart Mill
(1806-1873) vertretenen englischen Utilitarismus zusammen, die sich durch
sein Werk ziehen. N. hatte John Stuart Mills Gesammelte Werke in deutscher
Übersetzung, darunter das Hauptwerk On Liberty (1859) und Utilitarianism
(1861/63), in seiner persönlichen Bibliothek (NPB 383-390). Dass er sie intensiv
studierte, zeigen die zahlreichen Lesespuren, darunter auch viele Randbemer-
kungen. Für den vorliegenden Kontext ist vor allem der folgende Band rele-
vant: John Stuart Mill's Gesammelte Werke, Bd. 1: Die Freiheit (übersetzt von
Th. Gomperz); Das Nützlichkeitsprincip (übersetzt von Ad. Wahrmund); Recto-
ratsrede (übersetzt von Ad. Wahrmund), 1869.
422, 30-33 Wenn ein mittelalterlicher Fürst vom Papste gekrönt werden wollte,
aber es von ihm nicht erlangen konnte, so ernannte er wohl einen Gegenpapst,
422, 14-16 das ist jedenfalls mehr anzurathen, als irgend eine Philosophie [...]
öffentlich, von Staatswegen, zu patronisiren"] In der Reinschrift, also in der Vor-
lage zum Druckmanuskript, steht die folgende, später getilgte Fortsetzung:
„Hiermit bin ich im Bereich der praktischen Vorschläge: ich empfehle also, als
erste und wesentliche Maassregel, die Aufhebung aller philosophi-
schen Professuren an allen höheren Lehranstalten. Dass jede öffentliche
Anerkennung der Philosophie für den Staat überflüssig, für die Philosophie
selbst verderblich sei, will ich jetzt ohne weitere Umstände beweisen" (KSA 14,
79-80).
422, 17-23 Dem Staat ist es nie an der Wahrheit gelegen, sondern immer nur
an der ihm nützlichen Wahrheit [...], sei dies nun Wahrheit, Halbwahrheit oder
Irrthum. Ein Bündniss von Staat und Philosophie hat also nur dann einen Sinn,
wenn die Philosophie versprechen kann, dem Staat unbedingt nützlich zu sein,
das heisst den Staatsnutzen höher zu stellen als die Wahrheit.] Wie schon in
früheren Partien (etwa in 414, 32 - 415, 19) setzt N. hier und im weiteren Kon-
text den Wahrheitsbegriff inflationär ein, um ihn in eine radikale Opposition
zum „Staat" zu bringen. Dabei ist er von der prinzipiellen Staatsfeindschaft
beeinflusst, die Wagner in seiner noch von revolutionärem Impetus bestimm-
ten theoretischen Hauptschrift Oper und Drama (1851) zum Ausdruck bringt
und in dem Postulat kulminieren lässt: „Den Staat vernichten!" (GSD IV, 66-
67). N. folgt Wagners Staatskritik auch später noch, besonders häufig in seinen
Nachlass-Notizen. Darüber hinaus wirkte bei N. auch Jacob Burckhardts Dis-
tanzierung vom Staat zugunsten der ,Kultur' fort.
Von zentraler Bedeutung für N.s Vorbehalte gegenüber dem Staat war aller-
dings Schopenhauers Polemik gegen Hegel und dessen Affirmation des „Staa-
tes" (vgl. dazu 423, 24-34). Dass N. außer der Opposition von „Wahrheit" und
„Staat" noch diejenige von „Wahrheit" und „Nutzen" statuiert, hängt mit sei-
nen Attacken auf den von Jeremy Bentham (1748-1832) und John Stuart Mill
(1806-1873) vertretenen englischen Utilitarismus zusammen, die sich durch
sein Werk ziehen. N. hatte John Stuart Mills Gesammelte Werke in deutscher
Übersetzung, darunter das Hauptwerk On Liberty (1859) und Utilitarianism
(1861/63), in seiner persönlichen Bibliothek (NPB 383-390). Dass er sie intensiv
studierte, zeigen die zahlreichen Lesespuren, darunter auch viele Randbemer-
kungen. Für den vorliegenden Kontext ist vor allem der folgende Band rele-
vant: John Stuart Mill's Gesammelte Werke, Bd. 1: Die Freiheit (übersetzt von
Th. Gomperz); Das Nützlichkeitsprincip (übersetzt von Ad. Wahrmund); Recto-
ratsrede (übersetzt von Ad. Wahrmund), 1869.
422, 30-33 Wenn ein mittelalterlicher Fürst vom Papste gekrönt werden wollte,
aber es von ihm nicht erlangen konnte, so ernannte er wohl einen Gegenpapst,