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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0325
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298 Richard Wagner in Bayreuth

also der Philologie, bezeichnet (KSB 3, Nr. 79, S. 123). Und auch viel später
noch greift er auf Wagners Äußerung zurück, wenn er am 11. September 1887
die negative Seite einer derartigen Komplementarität so charakterisiert: Er
selbst sei „ein verunglückter Musikus", Wagner hingegen ein „verunglückter
Philologe" (KSB 8, Nr. 907, S. 150).
Allerdings ist die Perspektive Wagners auch von deutlichen Vorbehalten
gegenüber N.s Kulturutopie bestimmt, den „Bruch mit der bisherigen Philolo-
gie und ihrer Bildungsperspektive" zu vollziehen (KSB 3, Nr. 113, S. 165).
Bedenken hegt Wagner überdies im Hinblick auf den von N. schon anderthalb
Jahre nach Amtsantritt formulierten Wunsch, das „Joch" seiner Basler Profes-
sur abzuwerfen. Mit deutlicher Reserve reagiert er außerdem auf N.s Projekt,
zusammen mit Erwin Rohde und anderen Freunden „eine neue griechische
Akademie" zu gründen, um diese dann mit dem „Baireuther Plan Wagners"
zu verbinden (KSB 3, Nr. 113, S. 165). Und auch der Absicht N.s, seine Professur
an Rohde als Nachfolger weiterzugeben und, „eingeladen von den Wagnerver-
einen", in Deutschland umherzuziehen, „um Vorträge über die Nibelungen-
bühnenfestspiele zu halten" (KSB 3, Nr. 207, S. 304), stehen Wagner und seine
Frau skeptisch gegenüber. So mahnt Cosima Wagner am 22. August 1872 mit
einer Anspielung auf den antiken Antaios-Mythos: „die Philologie ist der feste
Boden den Sie immer wieder umfassen müssen, um Ihre Kraft zu erneuern, die
in der Himmelsluft der Musik, und der Wassertiefe der Philosophie, gar leicht
sich verlieren könnte" (KGB II 4, Nr. 354, S. 66-67).
Schon früh manifestiert sich in N.s Briefen ein regelrechter Wagner-Kult.
So schreibt er Erwin Rohde am 16. Juni 1869: Wagner „macht alles wahr, was
wir nur wünschen konnten: die Welt kennt gar nicht die menschliche Größe
und Singularität seiner Natur. Ich lerne sehr viel in seiner Nähe: es ist dies
mein praktischer Kursus der Schopenhauerschen Philosophie. - Die Nähe
Wagners ist mein Trost" (KSB 3, Nr. 8, S. 17). Und am 15. August 1869 lässt er
sogar eine Apotheose folgen: „Dafür will ich Dir noch etwas von meinem Juppi-
ter [sic] erzählen, von R. Wagner" (KSB 3, Nr. 22, S. 42). Im selben Brief bringt
N. den Komponisten auch bereits mit der Vorstellung der Unzeitgemäßheit in
Verbindung, indem er - sechs Jahre vor der Konzeption der vierten der Unzeit-
gemässen Betrachtungen - Richard Wagner als „unzeitgemäß im schönsten
Sinne" bezeichnet: „Ein fruchtbares, reiches, erschütterndes Leben, ganz ab-
weichend und unerhört unter mittleren Sterblichen! Dafür steht er auch da,
festgewurzelt durch eigne Kraft, mit seinem Blick immer drüber hinweg über
alles Ephemere, und unzeitgemäß im schönsten Sinne. Da hat er mir kürzlich
ein Manuscript gegeben ,über Staat und Religion', bestimmt als Memoire an
den jungen Baiernkönig, von einer Höhe und Zeitentrücktheit, von einem Edel-
sinn und Schopenhauerischem Ernst, daß ich König zu sein wünschte, um sol-
che Ermahnungen zu bekommen" (KSB 3, Nr. 22, S. 42).
 
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