308 Richard Wagner in Bayreuth
gabung, die versetzt ist, die sich in anderen Wegen Bahn bricht als auf dem
ersten nächsten: dazu nämlich fehlt ihm Gestalt Stimme und die nöthige Be-
scheidung" (NL 1874, 32 [15], KSA 7, 758-759).
In der Grundtendenz findet diese Einschätzung in abgeschwächter Form
dann sogar in UB IV WB Eingang: Hier vermutet N. „eine schauspielerische
Urbegabung" Wagners, „welche es sich versagen musste, sich auf dem näch-
sten trivialsten Wege zu befriedigen und welche in der Heranziehung aller
Künste zu einer grossen schauspielerischen Offenbarung ihre Auskunft und
ihre Rettung fand" (467, 32 - 468, 2). Auf diese Stelle rekurriert N., wenn er
später in Ecce homo auf seine Unzeitgemässen Betrachtungen eingeht und im
Zusammenhang mit UB IV WB erklärt, dass er „mit tiefer Instinkt-Sicherheit
bereits hier das Elementarische in der Natur Wagners als eine Schauspieler-
Begabung" bezeichne (KSA 6, 319, 23-25). - Dass N. den Komponisten mit
diesem Etikett nicht nur individualpsychologisch zu charakterisieren ver-
sucht, sondern zugleich auch wesentliche Züge seiner Musikästhetik diagnos-
tizieren will, zeigt eine Feststellung in der Spätschrift Der Fall Wagner von
1888. Dort behauptet N., Wagner gehe von einer „Hallucination [...] von Ge-
bärden" aus, zu denen er „die Ton-Semiotik" erst nachträglich suche (KSA 6,
27, 33 - 28, 1).
Für ein adäquates Verständnis dieser Aussagen ist es erforderlich, den fol-
genreichen Paradigmenwechsel innerhalb von Wagners Musikästhetik mitzu-
berücksichtigen: Hat Wagner in seiner Schrift Oper und Drama noch die Auf-
fassung vertreten, dass die Musik als Mittel zum Zweck des dramatischen
Ausdrucks fungiere, so ändert er seine Prämissen unter dem Einfluss von Scho-
penhauers Musikphilosophie später grundlegend und hält fortan die Musik für
,das Allgemeine', das durch das Drama exemplifiziert werde. In diesem Sinne
schreibt N. schon in einem nachgelassenen Notat von 1874 (NL 1874, 32 [52],
KSA 7, 770):
„Wagner bezeichnet als den Irrthum im Kunstgenre der Oper, dass ein Mittel des Aus-
drucks, die Musik, zum Zwecke, der Zweck des Ausdrucks aber zum Mittel gemacht war.
Also die Musik gilt ihm als Mittel des Ausdrucks - sehr characteristisch für den
Schauspieler. Jetzt war man bei einer Symphonie gefragt: wenn die Musik hier Mittel
des Ausdrucks ist, was ist der Zweck? Der kann also nicht in der Musik liegen: das,
was seinem Wesen nach Mittel des Ausdrucks ist, muss nun etwas haben, was es ausdrü-
cken soll: Wagner meint das Drama. Ohne dies hält er die Musik allein für ein Unding: es
erweckt die Frage ,warum der Lärm?'. Deshalb hielt er die 9te Symphonie für die eigentli-
che That Beethovens, weil er hier durch Hinzunahme des Wortes der Musik ihren Sinn
gab, Mittel des Ausdrucks zu sein.
Mittel und Zweck - Musik und Drama - ältere Lehre.
Allgemeines und Beispiel - Musik und Drama - neuere Lehre.
gabung, die versetzt ist, die sich in anderen Wegen Bahn bricht als auf dem
ersten nächsten: dazu nämlich fehlt ihm Gestalt Stimme und die nöthige Be-
scheidung" (NL 1874, 32 [15], KSA 7, 758-759).
In der Grundtendenz findet diese Einschätzung in abgeschwächter Form
dann sogar in UB IV WB Eingang: Hier vermutet N. „eine schauspielerische
Urbegabung" Wagners, „welche es sich versagen musste, sich auf dem näch-
sten trivialsten Wege zu befriedigen und welche in der Heranziehung aller
Künste zu einer grossen schauspielerischen Offenbarung ihre Auskunft und
ihre Rettung fand" (467, 32 - 468, 2). Auf diese Stelle rekurriert N., wenn er
später in Ecce homo auf seine Unzeitgemässen Betrachtungen eingeht und im
Zusammenhang mit UB IV WB erklärt, dass er „mit tiefer Instinkt-Sicherheit
bereits hier das Elementarische in der Natur Wagners als eine Schauspieler-
Begabung" bezeichne (KSA 6, 319, 23-25). - Dass N. den Komponisten mit
diesem Etikett nicht nur individualpsychologisch zu charakterisieren ver-
sucht, sondern zugleich auch wesentliche Züge seiner Musikästhetik diagnos-
tizieren will, zeigt eine Feststellung in der Spätschrift Der Fall Wagner von
1888. Dort behauptet N., Wagner gehe von einer „Hallucination [...] von Ge-
bärden" aus, zu denen er „die Ton-Semiotik" erst nachträglich suche (KSA 6,
27, 33 - 28, 1).
Für ein adäquates Verständnis dieser Aussagen ist es erforderlich, den fol-
genreichen Paradigmenwechsel innerhalb von Wagners Musikästhetik mitzu-
berücksichtigen: Hat Wagner in seiner Schrift Oper und Drama noch die Auf-
fassung vertreten, dass die Musik als Mittel zum Zweck des dramatischen
Ausdrucks fungiere, so ändert er seine Prämissen unter dem Einfluss von Scho-
penhauers Musikphilosophie später grundlegend und hält fortan die Musik für
,das Allgemeine', das durch das Drama exemplifiziert werde. In diesem Sinne
schreibt N. schon in einem nachgelassenen Notat von 1874 (NL 1874, 32 [52],
KSA 7, 770):
„Wagner bezeichnet als den Irrthum im Kunstgenre der Oper, dass ein Mittel des Aus-
drucks, die Musik, zum Zwecke, der Zweck des Ausdrucks aber zum Mittel gemacht war.
Also die Musik gilt ihm als Mittel des Ausdrucks - sehr characteristisch für den
Schauspieler. Jetzt war man bei einer Symphonie gefragt: wenn die Musik hier Mittel
des Ausdrucks ist, was ist der Zweck? Der kann also nicht in der Musik liegen: das,
was seinem Wesen nach Mittel des Ausdrucks ist, muss nun etwas haben, was es ausdrü-
cken soll: Wagner meint das Drama. Ohne dies hält er die Musik allein für ein Unding: es
erweckt die Frage ,warum der Lärm?'. Deshalb hielt er die 9te Symphonie für die eigentli-
che That Beethovens, weil er hier durch Hinzunahme des Wortes der Musik ihren Sinn
gab, Mittel des Ausdrucks zu sein.
Mittel und Zweck - Musik und Drama - ältere Lehre.
Allgemeines und Beispiel - Musik und Drama - neuere Lehre.