318 Richard Wagner in Bayreuth
als Schlussstück und Satyrdrama, mit dem der Tragiker Wagner auf eine gera-
de ihm gebührende und würdige Weise von uns, auch von sich, vor Allem von
der Tragödie habe Abschied nehmen wollen, nämlich mit einem Excess
höchster und muthwilligster Parodie auf das Tragische selbst, auf den ganzen
schauerlichen Erden-Ernst und Erden-Jammer von Ehedem, auf die endlich
überwundene gröbste Form in der Widernatur des asketischen Ideals"
(KSA 5, 341, 28 - 342, 6). An diese Überlegung schließt N. die Frage an: „Ist
der ,Parsifal' Wagner's sein heimliches Überlegenheits-Lachen über sich selbst,
der Triumph seiner errungenen letzten höchsten Künstler-Freiheit, Künstler-
Jenseitigkeit? Man möchte es, wie gesagt, wünschen: denn was würde der
ernstgemeinte Parsifal sein? Hat man wirklich nöthig, in ihm [...] ,die Aus-
geburt eines tollgewordenen Hasses auf Erkenntniss, Geist und Sinnlichkeit'
zu sehn? Einen Fluch auf Sinne und Geist in Einem Hass und Athem? Eine
Apostasie und Umkehr zu christlich-krankhaften und obskurantistischen Idea-
len? Und zuletzt gar ein Sich-selbst-Verneinen, Sich-selbst-Durchstreichen von
Seiten eines Künstlers, der bis dahin mit aller Macht seines Willens auf das
Umgekehrte, nämlich auf höchste Vergeistigung und Versinnli-
chung seiner Kunst aus gewesen war?" (KSA 5, 342, 10-24).
Außerdem konstatiert N. in Zur Genealogie der Moral: „Dem Dichter und
Ausgestalter des Parsifal blieb ein tiefes, gründliches, selbst schreckliches Hi-
neinleben und Hinabsteigen in mittelalterliche Seelen-Contraste, ein feindseli-
ges Abseits von aller Höhe, Strenge und Zucht des Geistes, eine Art intellektu-
eller Perversität [...] ebensowenig erspart als einem schwangeren Weibe die
Widerlichkeiten und Wunderlichkeiten der Schwangerschaft: als welche man
[...] vergessen muss, um sich des Kindes zu erfreuen" (KSA 5, 343, 19-27).
Abschließend resümiert N.: „wer möchte nicht überhaupt wünschen, um Wag-
ner's selber willen, dass er anders von uns und seiner Kunst Abschied ge-
nommen hätte, nicht mit einem Parsifal, sondern siegreicher, selbstgewisser,
Wagnerischer, - weniger irreführend, weniger zweideutig in Bezug auf sein
ganzes Wollen, weniger Schopenhauerisch, weniger nihilistisch? ..." (KSA 5,
344, 15-21).
In seiner Spätschrift Nietzsche contra Wagner nimmt N. erneut auf Wagners
Oper Parsifal Bezug. Im Unterschied zu den ambivalenten Perspektiven, die er
zuvor in Zur Genealogie der Moral entfaltet hat, verschärft er seine kritische
Einschätzung nun allerdings zu dem polemischen Verdikt: „Richard Wagner,
scheinbar der Siegreichste, in Wahrheit ein morsch gewordner verzweifelnder
decadent, sank plötzlich, hülflos und zerbrochen, vor dem christlichen Kreuze
nieder ... Hat denn kein Deutscher für dies schauerliche Schauspiel damals
Augen im Kopfe" (KSA 6, 431, 29 - 432, 2).
Thomas Mann referiert dieses kritische Urteil N.s, um ihm dann seine kon-
träre Auffassung entgegenzuhalten. In seinem Wagner-Essay Leiden und Größe
als Schlussstück und Satyrdrama, mit dem der Tragiker Wagner auf eine gera-
de ihm gebührende und würdige Weise von uns, auch von sich, vor Allem von
der Tragödie habe Abschied nehmen wollen, nämlich mit einem Excess
höchster und muthwilligster Parodie auf das Tragische selbst, auf den ganzen
schauerlichen Erden-Ernst und Erden-Jammer von Ehedem, auf die endlich
überwundene gröbste Form in der Widernatur des asketischen Ideals"
(KSA 5, 341, 28 - 342, 6). An diese Überlegung schließt N. die Frage an: „Ist
der ,Parsifal' Wagner's sein heimliches Überlegenheits-Lachen über sich selbst,
der Triumph seiner errungenen letzten höchsten Künstler-Freiheit, Künstler-
Jenseitigkeit? Man möchte es, wie gesagt, wünschen: denn was würde der
ernstgemeinte Parsifal sein? Hat man wirklich nöthig, in ihm [...] ,die Aus-
geburt eines tollgewordenen Hasses auf Erkenntniss, Geist und Sinnlichkeit'
zu sehn? Einen Fluch auf Sinne und Geist in Einem Hass und Athem? Eine
Apostasie und Umkehr zu christlich-krankhaften und obskurantistischen Idea-
len? Und zuletzt gar ein Sich-selbst-Verneinen, Sich-selbst-Durchstreichen von
Seiten eines Künstlers, der bis dahin mit aller Macht seines Willens auf das
Umgekehrte, nämlich auf höchste Vergeistigung und Versinnli-
chung seiner Kunst aus gewesen war?" (KSA 5, 342, 10-24).
Außerdem konstatiert N. in Zur Genealogie der Moral: „Dem Dichter und
Ausgestalter des Parsifal blieb ein tiefes, gründliches, selbst schreckliches Hi-
neinleben und Hinabsteigen in mittelalterliche Seelen-Contraste, ein feindseli-
ges Abseits von aller Höhe, Strenge und Zucht des Geistes, eine Art intellektu-
eller Perversität [...] ebensowenig erspart als einem schwangeren Weibe die
Widerlichkeiten und Wunderlichkeiten der Schwangerschaft: als welche man
[...] vergessen muss, um sich des Kindes zu erfreuen" (KSA 5, 343, 19-27).
Abschließend resümiert N.: „wer möchte nicht überhaupt wünschen, um Wag-
ner's selber willen, dass er anders von uns und seiner Kunst Abschied ge-
nommen hätte, nicht mit einem Parsifal, sondern siegreicher, selbstgewisser,
Wagnerischer, - weniger irreführend, weniger zweideutig in Bezug auf sein
ganzes Wollen, weniger Schopenhauerisch, weniger nihilistisch? ..." (KSA 5,
344, 15-21).
In seiner Spätschrift Nietzsche contra Wagner nimmt N. erneut auf Wagners
Oper Parsifal Bezug. Im Unterschied zu den ambivalenten Perspektiven, die er
zuvor in Zur Genealogie der Moral entfaltet hat, verschärft er seine kritische
Einschätzung nun allerdings zu dem polemischen Verdikt: „Richard Wagner,
scheinbar der Siegreichste, in Wahrheit ein morsch gewordner verzweifelnder
decadent, sank plötzlich, hülflos und zerbrochen, vor dem christlichen Kreuze
nieder ... Hat denn kein Deutscher für dies schauerliche Schauspiel damals
Augen im Kopfe" (KSA 6, 431, 29 - 432, 2).
Thomas Mann referiert dieses kritische Urteil N.s, um ihm dann seine kon-
träre Auffassung entgegenzuhalten. In seinem Wagner-Essay Leiden und Größe