326 Richard Wagner in Bayreuth
4-5) und der „Meister hypnotischer Griffe" ist (KSA 6, 23, 16-17). Dennoch
attestiert er ihm einen „Reichthum an Farben, an Halbschatten, an Heimlich-
keiten absterbenden Lichts" und betrachtet ihn als „unsern grössten Melan-
choliker der Musik" (KSA 6, 29, 8-9) und „als unsern grössten Miniaturis-
ten der Musik, der in den kleinsten Raum eine Unendlichkeit von Sinn und
Süsse drängt" (KSA 6, 28, 22-25).
Auch in der Spätphase von N.s Schaffen finden sich noch positive Aussa-
gen über Wagner und seine Musik. Trotz aller Polemik bekennt er in seiner
Schrift Der Fall Wagner mit Nachdruck: „ich suche heute noch nach einem
Werke von gleich gefährlicher Fascination, von einer gleich schauerlichen und
süssen Unendlichkeit, wie der Tristan ist, - ich suche in allen Künsten verge-
bens" (KSA 6, 289, 29-32). Und wenig später erklärt N.: „Ich denke, ich kenne
besser als irgend Jemand das Ungeheure, das Wagner vermag, die fünfzig Wel-
ten fremder Entzückungen, zu denen Niemand äusser ihm Flügel hatte; und
so wie ich bin, stark genug, um mir auch das Fragwürdigste und Gefährlichste
noch zum Vortheil zu wenden und damit stärker zu werden, nenne ich Wagner
den grossen Wohlthäter meines Lebens. Das, worin wir verwandt sind, dass
wir tiefer gelitten haben, auch an einander, als Menschen dieses Jahrhunderts
zu leiden vermöchten, wird unsre Namen ewig wieder zusammenbringen"
(KSA 6, 290, 10-19).
N.s Hinweis auf Wagners fragwürdigen Mythensynkretismus, vor allem
aber die historische Relativierung des Wagnerschen Herrschaftsanspruchs und
der Bedeutung seiner Musik sowie die entschiedene Infragestellung ihrer Zu-
kunftschancen in der oben bereits zitierten Textpassage aus Menschliches, All-
zumenschliches (KSA 2, 450, 31 - 451, 29) lassen es nachvollziehbar erscheinen,
dass Wagners Urteil über diese Schrift vernichtend ausfiel. So revanchierte er
sich 1878 in seinem Aufsatz Publikum und Popularität seinerseits mit polemi-
schen Spitzen gegen N., indem er ihm einen ,bildungsphiliströsen' Fortschritts-
glauben vorwarf und seine Umorientierung von der Kunstmetaphysik zur
historischen und naturwissenschaftlichen Erkenntnis attackierte (vgl. dazu
Borchmeyer 2008, 99-103). - Letztlich können die konträren Auffassungen zur
Aufgabe der Kunst innerhalb der Kultur, die N. und Wagner vertraten, als die
Hauptursache für den Bruch zwischen ihnen betrachtet werden (vgl. dazu die
detaillierte Darstellung von Borchmeyer 2008, 99-106). Zu den Ambivalenzen
dieser Freundschaft vgl. auch Borchmeyer 2012, 99-122. N. selbst empfand
Wagners Attacke sogar als „die große Excommunikation" (KSB 5, Nr. 723,
S. 329) und erklärte später ausdrücklich: „Unsere Lebens-Aufgaben sind ver-
schieden; ein persönliches Verhältniß bei dieser Verschiedenheit wäre nur
möglich und angenehm, wenn Wagner ein viel delikaterer Mensch
wäre" (KSB 6, Nr. 192, S. 161-162).
4-5) und der „Meister hypnotischer Griffe" ist (KSA 6, 23, 16-17). Dennoch
attestiert er ihm einen „Reichthum an Farben, an Halbschatten, an Heimlich-
keiten absterbenden Lichts" und betrachtet ihn als „unsern grössten Melan-
choliker der Musik" (KSA 6, 29, 8-9) und „als unsern grössten Miniaturis-
ten der Musik, der in den kleinsten Raum eine Unendlichkeit von Sinn und
Süsse drängt" (KSA 6, 28, 22-25).
Auch in der Spätphase von N.s Schaffen finden sich noch positive Aussa-
gen über Wagner und seine Musik. Trotz aller Polemik bekennt er in seiner
Schrift Der Fall Wagner mit Nachdruck: „ich suche heute noch nach einem
Werke von gleich gefährlicher Fascination, von einer gleich schauerlichen und
süssen Unendlichkeit, wie der Tristan ist, - ich suche in allen Künsten verge-
bens" (KSA 6, 289, 29-32). Und wenig später erklärt N.: „Ich denke, ich kenne
besser als irgend Jemand das Ungeheure, das Wagner vermag, die fünfzig Wel-
ten fremder Entzückungen, zu denen Niemand äusser ihm Flügel hatte; und
so wie ich bin, stark genug, um mir auch das Fragwürdigste und Gefährlichste
noch zum Vortheil zu wenden und damit stärker zu werden, nenne ich Wagner
den grossen Wohlthäter meines Lebens. Das, worin wir verwandt sind, dass
wir tiefer gelitten haben, auch an einander, als Menschen dieses Jahrhunderts
zu leiden vermöchten, wird unsre Namen ewig wieder zusammenbringen"
(KSA 6, 290, 10-19).
N.s Hinweis auf Wagners fragwürdigen Mythensynkretismus, vor allem
aber die historische Relativierung des Wagnerschen Herrschaftsanspruchs und
der Bedeutung seiner Musik sowie die entschiedene Infragestellung ihrer Zu-
kunftschancen in der oben bereits zitierten Textpassage aus Menschliches, All-
zumenschliches (KSA 2, 450, 31 - 451, 29) lassen es nachvollziehbar erscheinen,
dass Wagners Urteil über diese Schrift vernichtend ausfiel. So revanchierte er
sich 1878 in seinem Aufsatz Publikum und Popularität seinerseits mit polemi-
schen Spitzen gegen N., indem er ihm einen ,bildungsphiliströsen' Fortschritts-
glauben vorwarf und seine Umorientierung von der Kunstmetaphysik zur
historischen und naturwissenschaftlichen Erkenntnis attackierte (vgl. dazu
Borchmeyer 2008, 99-103). - Letztlich können die konträren Auffassungen zur
Aufgabe der Kunst innerhalb der Kultur, die N. und Wagner vertraten, als die
Hauptursache für den Bruch zwischen ihnen betrachtet werden (vgl. dazu die
detaillierte Darstellung von Borchmeyer 2008, 99-106). Zu den Ambivalenzen
dieser Freundschaft vgl. auch Borchmeyer 2012, 99-122. N. selbst empfand
Wagners Attacke sogar als „die große Excommunikation" (KSB 5, Nr. 723,
S. 329) und erklärte später ausdrücklich: „Unsere Lebens-Aufgaben sind ver-
schieden; ein persönliches Verhältniß bei dieser Verschiedenheit wäre nur
möglich und angenehm, wenn Wagner ein viel delikaterer Mensch
wäre" (KSB 6, Nr. 192, S. 161-162).