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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0361
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334 Richard Wagner in Bayreuth

keit. Bayreuth erscheint ihm hier als geweihter Ort einer ästhetischen Erzie-
hung, der das Fundament für eine umfassende kulturelle Reformation schaffen
soll: Von ihr erhofft N. zugleich eine fundamentale Erneuerung des menschli-
chen Lebens, die weit über den engeren Bereich der Kunst hinausweist und in
universellem Sinne „Zukunft" verspricht. Ähnlich wie bereits in seinem Erst-
lingswerk Die Geburt der Tragödie inszeniert N. auch in UB IV WB eine Vision
idealer „Zukunft". Zugleich betont er allerdings, dass Wagner seinen Rezipien-
ten keineswegs „endgültige ideale Ordnungen" (506, 3) oder ein „goldenes Zeit-
alter" (506, 15) vor Augen stelle, weil er „kein Utopist" sei (506, 7).
Offenkundig sind N.s Perspektiven hier von der Stimmung der beginnen-
den Lebensreformbewegung beeinflusst. In die Vorstellung einer kulturellen
Erneuerung, die Wagner zum ,Kunstreformator' avancieren lässt, wirkt zu-
gleich die für N.s Frühwerk insgesamt charakteristische Epigonen-Obsession
hinein. Vor diesem Hintergrund ist auch die geradezu leitmotivische Inszenie-
rung von Zukunftsvisionen im Schlusskapitel von UB IV WB zu lesen. Damit
reagiert N. auf die aporetische Situation der Epigonen, die unkreativ auf geisti-
ge Vorbilder der Vergangenheit fixiert bleiben. In dieser Hinsicht erweist sich
N. - trotz der von ihm wiederholt proklamierten ,Unzeitgemäßheit' (vgl. dazu
NK 242, 9-11) - auch als „zeitgemäß". Das erhellt bereits aus einer nachgelas-
senen programmatischen Skizze, die den Beginn der Vorarbeiten zu UB IV WB
markiert: „Wagner hat die Desperation vom modernen Menschen genommen,
als ob er immer nur Epigone sein müsse. Während sonst in allem wir der alten
Cultur verpflichtet sind, mit Staat Gesellschaft Religion: bringt er den Men-
schen an's Licht, der in uns vor aller Kultur ist und damit wirft er die schwere
Last von sich" (NL 1875, 11 [1], KSA 8, 189). - Zur Thematik der Epigonalität bei
N. und zu ihrem kulturhistorischen Kontext vgl. die ausführlichen Stellenkom-
mentare zur Geburt der Tragödie (KSA 1, 75, 25-32) in NK 1/1 sowie zu UB I DS
(KSA 1, 169, 15-18), UB II HL (KSA 1, 279, 11-13) und UB III SE (KSA 1, 344, 31-
34) in NK 1/2 (zu UB I DS und UB II HL) sowie im vorliegenden Band NK 1/4.
Mit dem 8. Kapitel schließt der erste Hauptteil, der die Gesamtdisposition
von UB IV WB dominiert, zugleich aber auch bereits Ambivalenzen erkennen
lässt, die später in N.s forcierter Polemik gegen Wagner weiterwirken. In
UB IV WB 8 stellt N. die Thematik von ,Wirkung' und ,Erfolg' ins Zentrum.
Schon in der Anfangspassage attestiert er Wagner, der „herrschende Ge-
danke seines Lebens" bestehe darin, „dass vom Theater aus eine unvergleich-
liche Wirkung, die grösste Wirkung aller Kunst ausgeübt werden könne" (472,
19-22). Aufgrund „seines eigenen Erfahrens und Fühlens [...] durchdrang ihn
eine glühende Hoffnung auf höchste Macht und Wirkung! So verstand er denn
die grosse Oper als sein Mittel, durch welches er seinen herrschenden Ge-
danken ausdrücken könnte; nach ihr drängte ihn seine Begierde [...]" (473, 25-
 
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