Überblickskommentar, Kapitel IV.5: Struktur 349
Deutlichkeit entfalte (493): Er könne „jeden Grad und jede Farbe des Gefühls"
(493) mit größtmöglicher Präzision in Wort und Ton setzen und bringe in der
musikalischen Harmonie der Gegensätze „ein Abbild der Welt" im Sinne von
Schopenhauers Musikmetaphysik hervor (494). Dabei sei die „feurige Seele"
(496) von Wagners Musik seiner auf Selbstüberwindung zielenden Willens-
strenge unterworfen. Im Hinblick auf „den furchtbaren Ernst" (495) und die
besondere Radikalität seines Schaffens vergleicht N. den Komponisten Wagner
mit dem Rhetor Demosthenes (495).
10.
Im 10. Kapitel (496-505) geht N. zunächst auf die Bildung eines Freundeskrei-
ses um Wagner und auf die Begründung einer Stiltradition durch die Institutio-
nalisierung der von ihm favorisierten Aufführungspraxis in Bayreuth ein (496-
501), schließt dann (mit kritischen Einschränkungen) eine Beurteilung von
Wagners theoretischen Schriften an (501-503), die nach seiner Vorstellung das
Verständnis seiner Opern erleichtern sollen, und gibt abschließend einen Aus-
blick auf die „Zukunft", indem er das Thema von Wagners Schrift Das Kunst-
werk der Zukunft in seine Überlegungen mit aufnimmt.
Die Superiorität Wagners im Vergleich mit allen anderen zeitgenössischen
Künstlern führt N. zu Beginn des 10. Kapitels auch auf dessen überlegene
Selbstdisziplin zurück. Nie habe er sich von seinen Anhängern vorschnell auf
eine künstlerische Entwicklungsstufe festlegen lassen. Auch jeder Dogmatisie-
rung habe er sich konsequent verweigert (497). Wer Wagners ästhetische Über-
legenheit nicht anerkennen wolle und sich stattdessen an älteren Musik-Tradi-
tionen ausrichte, büße dadurch an künstlerischer Qualität ein. Zwar sei
Wagner inzwischen zum Maßstab geworden, an dem man sich orientieren
müsse, aber er wünsche sich keine Schule von epigonalen „Wagnerisch compo-
nirenden Musikern" (498), um eine dauerhafte Wirkung seiner eigenen Kompo-
sitionsprinzipien sicherzustellen. Vielmehr wolle er die „Gesetze des Styls für
den dramatischen Vortrag" finden (498) und sie an die Nachwelt überliefern.
Mit dieser Perspektive rekapituliert N. die schon im 8. Kapitel hervorgehobene
Absicht Wagners, in Bayreuth „eine Styl-Ueberlieferung" zu inaugurie-
ren (481): „Das tiefste Bedürfniss treibt ihn, für seine Kunst die Tradition
eines Styls zu begründen" und auf diese Weise „die Fortdauer seiner Kunst"
zu sichern (498). Von diesem Hauptzweck motiviert, vollbringe Wagner trotz
fehlender Resonanz bei den Zeitgenossen ständig neue Leistungen und finde
dann allmählich auch mehr Aufmerksamkeit unter denen, die seinem Werk
zuvor distanziert gegenüberstanden, bis das ganze Umfeld schließlich zum
Deutlichkeit entfalte (493): Er könne „jeden Grad und jede Farbe des Gefühls"
(493) mit größtmöglicher Präzision in Wort und Ton setzen und bringe in der
musikalischen Harmonie der Gegensätze „ein Abbild der Welt" im Sinne von
Schopenhauers Musikmetaphysik hervor (494). Dabei sei die „feurige Seele"
(496) von Wagners Musik seiner auf Selbstüberwindung zielenden Willens-
strenge unterworfen. Im Hinblick auf „den furchtbaren Ernst" (495) und die
besondere Radikalität seines Schaffens vergleicht N. den Komponisten Wagner
mit dem Rhetor Demosthenes (495).
10.
Im 10. Kapitel (496-505) geht N. zunächst auf die Bildung eines Freundeskrei-
ses um Wagner und auf die Begründung einer Stiltradition durch die Institutio-
nalisierung der von ihm favorisierten Aufführungspraxis in Bayreuth ein (496-
501), schließt dann (mit kritischen Einschränkungen) eine Beurteilung von
Wagners theoretischen Schriften an (501-503), die nach seiner Vorstellung das
Verständnis seiner Opern erleichtern sollen, und gibt abschließend einen Aus-
blick auf die „Zukunft", indem er das Thema von Wagners Schrift Das Kunst-
werk der Zukunft in seine Überlegungen mit aufnimmt.
Die Superiorität Wagners im Vergleich mit allen anderen zeitgenössischen
Künstlern führt N. zu Beginn des 10. Kapitels auch auf dessen überlegene
Selbstdisziplin zurück. Nie habe er sich von seinen Anhängern vorschnell auf
eine künstlerische Entwicklungsstufe festlegen lassen. Auch jeder Dogmatisie-
rung habe er sich konsequent verweigert (497). Wer Wagners ästhetische Über-
legenheit nicht anerkennen wolle und sich stattdessen an älteren Musik-Tradi-
tionen ausrichte, büße dadurch an künstlerischer Qualität ein. Zwar sei
Wagner inzwischen zum Maßstab geworden, an dem man sich orientieren
müsse, aber er wünsche sich keine Schule von epigonalen „Wagnerisch compo-
nirenden Musikern" (498), um eine dauerhafte Wirkung seiner eigenen Kompo-
sitionsprinzipien sicherzustellen. Vielmehr wolle er die „Gesetze des Styls für
den dramatischen Vortrag" finden (498) und sie an die Nachwelt überliefern.
Mit dieser Perspektive rekapituliert N. die schon im 8. Kapitel hervorgehobene
Absicht Wagners, in Bayreuth „eine Styl-Ueberlieferung" zu inaugurie-
ren (481): „Das tiefste Bedürfniss treibt ihn, für seine Kunst die Tradition
eines Styls zu begründen" und auf diese Weise „die Fortdauer seiner Kunst"
zu sichern (498). Von diesem Hauptzweck motiviert, vollbringe Wagner trotz
fehlender Resonanz bei den Zeitgenossen ständig neue Leistungen und finde
dann allmählich auch mehr Aufmerksamkeit unter denen, die seinem Werk
zuvor distanziert gegenüberstanden, bis das ganze Umfeld schließlich zum