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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0378
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Überblickskommentar, Kapitel IV.6: Selbstaussagen Nietzsches 351

gen. Nachdem in der modernen Zivilisation „Unnatur" dominiert habe, könne
endlich die Wiederherstellung der „Natur" gelingen, die eine „Verwandelung
durch Liebe" ersehne (507). Die „richtige Empfindung" stellt N. der in seiner
Gegenwart überwiegenden „unrichtigen Empfindung" gegenüber (507). Und
die Vorstellung der „Freiheit" avanciert zu einem Leitmotiv dieses Schlusskapi-
tels.
Dass Wagner konsequenterweise auch in seinen Opern die Motive der Be-
freiung und der aufopferungsvollen, liebenden Hingabe gestaltet und variiert,
versucht N. anhand mehrerer Figurenkonstellationen zu exemplifizieren (507-
509). Dabei legt er den Schwerpunkt schließlich auf den Ring des Nibelungen.
Sogar der Gott Wotan gerate bei Wagner durch Machthunger in einen Zustand
quälender Unfreiheit. Deshalb bedürfe er eines „freien furchtlosen Menschen"
(508), der die entscheidende Tat vollbringe; dann schaue er „voller Wonne am
eigenen Unterliegen" dem heroischen Aufstieg Siegfrieds zu, endlich „frei von
sich selbst" (509). - An seine Zeitgenossen wendet sich N. abschließend mit
dem Pathos der appellativen rhetorischen Frage, ob diese Konzeption der
„Freien, Furchtlosen, in unschuldiger Selbstigkeit aus sich Wachsenden" (509)
für die Gegenwart entworfen sein könne. Und er beendet UB IV WB mit der
Feststellung, dass die künftige Funktion Wagners für das Volk nicht darin
liege, Prophezeiungen über die Zukunft abzugeben, sondern ihm als „Deuter
und Verklärer einer Vergangenheit" zu dienen (510).

IV.6 Selbstaussagen Nietzsches
In einem nachgelassenen Notat aus dem Sommer 1875 versucht N. UB IV WB
als „unzeitgemäße" Betrachtung zu legitimieren, indem er Wagners Schaffen
als avantgardistisch charakterisiert: „Wagner's Kunst gehört nicht zur jetzi-
gen Kunst: er ist weit voraus oder darüber. Man soll seine Existenz nicht
unserm Zeitalter zum Verdienst anrechnen, zumal es alles gethan hat um seine
Existenz zu verhindern. [...] Meine Betrachtung Wagner's bleibt als ,unzeitge-
mäße' gerechtfertigt. Denn alle sonstige Kunst und Wissenschaft, die Musiker
und Musikgelehrten dazu, haben ihm den Weg verlegen wollen" (NL 1875, 11
[19], KSA 8, 205).
Einen Brief an Carl von Gersdorff beendet N. am 26. September 1875 folgen-
dermaßen: „Liebster Freund, Litteratur mache ich nicht, der Ekel gegen Veröf-
fentlichungen nimmt täglich zu. Wenn Du aber kommst, will ich Dir etwas
vorlesen, was Dir Freude machen wird, etwas aus der unpublicirbaren Be-
trachtung Nr. 4 mit dem Titel ,Richard Wagner in Bayreuth'. - Stillschweigen
erbeten" (KSB 5, Nr. 487, S. 114-115). Und am 7. Oktober 1875 spielt N. in einem
 
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