354 Richard Wagner in Bayreuth
freien Menschen, erfunden hat. Seither hat er noch, aus dem bescheidenen Winkel seiner
Bayreuther Blätter heraus, genugsam zu verstehen gegeben, wie hoch er das Blut des
Erlösers zu schätzen wisse, und - man hat ihn verstanden. Viele Deutsche, viele reine
und unreine Thoren aller Art glauben seitdem erst an R<ichard> W<agner> als ihren ,Erlö-
ser'. Dies geht mir Alles wider den Geschmack. -
Es versteht sich von selber, daß ich Niemandem so leicht das Recht zugestehe, diese
meine Schätzung zur seinigen zu machen, und allem unehrerbietigem Gesindel, wie es
am heutigen Leibe der Gesellschaft gleich Läusen wimmelt, soll es gar nicht erlaubt sein,
einen solchen großen Namen, wie der R<ichard> W<agner>s ist, überhaupt in das Maul
zu nehmen, weder im Lobe, noch im Widerspruche."
In seiner Spätschrift Der Fall Wagner bekennt N. 1888 sogar mit dezidierter
Selbstkritik, er sei „Einer der corruptesten Wagnerianer" gewesen (KSA 6, 16,
17). Am 11. März 1870 hingegen hielt er es noch für „eine unendliche Bereiche-
rung des Lebens, einen solchen Genius" wie Wagner „wirklich nahe kennen
zu lernen. Für mich knüpft sich alles Beste und Schönste an die Namen Scho-
penhauer und Wagner" (KSB 3, Nr. 65, S. 105). Acht Jahre später allerdings
erklärt N. in einem nachgelassenen Notat desillusioniert: „So begabte Wesen,
wie ich sie mir als Genies vorstellte, haben nie existirt" (NL 1878, 29 [16],
KSA 8, 515).
Nachträglich scheint N. den enthusiastischen Überschwang seiner frühen
Jahre zu bereuen. So erklärt sich auch die radikale Umdeutung in Ecce homo.
Hier geht N. im Kapitel „Warum ich so gute Bücher schreibe" auf die Unzeitge-
mässen Betrachtungen ein und konstatiert: „In der dritten und vierten Un-
zeitgemässen werden, als Fingerzeige zu einem höheren Begriff der Cultur,
zur Wiederherstellung des Begriffs ,Cultur', zwei Bilder der härtesten Selbst-
sucht, Selbstzucht dagegen aufgestellt, unzeitgemässe Typen par excel-
lence, voll souverainer Verachtung gegen Alles, was um sie herum ,Reich', ,Bil-
dung', ,Christenthum', ,Bismarck', ,Erfolg' hiess, - Schopenhauer und Wagner
oder, mit einem Wort, Nietzsche ..." (KSA 6, 316, 22 - 317, 5). Wenige Seiten
danach bringt er die Revision seiner früheren Perspektiven zum Ausdruck, in-
dem er erklärt: „Dass die mit den Namen Schopenhauer und Wagner abge-
zeichneten Unzeitgemässen sonderlich zum Verständniss oder auch nur zur
psychologischen Fragestellung beider Fälle dienen könnten, möchte ich nicht
behaupten, Einzelnes, wie billig, ausgenommen. So wird zum Beispiel mit tie-
fer Instinkt-Sicherheit bereits hier das Elementarische in der Natur Wagners
als eine Schauspieler-Begabung bezeichnet, die in seinen Mitteln und Absich-
ten nur ihre Folgerungen zieht" (KSA 6, 319, 19-26).
Ein Nachlass-Notat von 1885 mit dem markanten Titel „Neue unzeitge-
mäße Betrachtung" (NL 1885, 41 [2], KSA 11, 669) enthält ebenfalls eine
aufschlussreiche Retrospektive N.s auf UB III SE und UB IV WB, in der sich ein
freien Menschen, erfunden hat. Seither hat er noch, aus dem bescheidenen Winkel seiner
Bayreuther Blätter heraus, genugsam zu verstehen gegeben, wie hoch er das Blut des
Erlösers zu schätzen wisse, und - man hat ihn verstanden. Viele Deutsche, viele reine
und unreine Thoren aller Art glauben seitdem erst an R<ichard> W<agner> als ihren ,Erlö-
ser'. Dies geht mir Alles wider den Geschmack. -
Es versteht sich von selber, daß ich Niemandem so leicht das Recht zugestehe, diese
meine Schätzung zur seinigen zu machen, und allem unehrerbietigem Gesindel, wie es
am heutigen Leibe der Gesellschaft gleich Läusen wimmelt, soll es gar nicht erlaubt sein,
einen solchen großen Namen, wie der R<ichard> W<agner>s ist, überhaupt in das Maul
zu nehmen, weder im Lobe, noch im Widerspruche."
In seiner Spätschrift Der Fall Wagner bekennt N. 1888 sogar mit dezidierter
Selbstkritik, er sei „Einer der corruptesten Wagnerianer" gewesen (KSA 6, 16,
17). Am 11. März 1870 hingegen hielt er es noch für „eine unendliche Bereiche-
rung des Lebens, einen solchen Genius" wie Wagner „wirklich nahe kennen
zu lernen. Für mich knüpft sich alles Beste und Schönste an die Namen Scho-
penhauer und Wagner" (KSB 3, Nr. 65, S. 105). Acht Jahre später allerdings
erklärt N. in einem nachgelassenen Notat desillusioniert: „So begabte Wesen,
wie ich sie mir als Genies vorstellte, haben nie existirt" (NL 1878, 29 [16],
KSA 8, 515).
Nachträglich scheint N. den enthusiastischen Überschwang seiner frühen
Jahre zu bereuen. So erklärt sich auch die radikale Umdeutung in Ecce homo.
Hier geht N. im Kapitel „Warum ich so gute Bücher schreibe" auf die Unzeitge-
mässen Betrachtungen ein und konstatiert: „In der dritten und vierten Un-
zeitgemässen werden, als Fingerzeige zu einem höheren Begriff der Cultur,
zur Wiederherstellung des Begriffs ,Cultur', zwei Bilder der härtesten Selbst-
sucht, Selbstzucht dagegen aufgestellt, unzeitgemässe Typen par excel-
lence, voll souverainer Verachtung gegen Alles, was um sie herum ,Reich', ,Bil-
dung', ,Christenthum', ,Bismarck', ,Erfolg' hiess, - Schopenhauer und Wagner
oder, mit einem Wort, Nietzsche ..." (KSA 6, 316, 22 - 317, 5). Wenige Seiten
danach bringt er die Revision seiner früheren Perspektiven zum Ausdruck, in-
dem er erklärt: „Dass die mit den Namen Schopenhauer und Wagner abge-
zeichneten Unzeitgemässen sonderlich zum Verständniss oder auch nur zur
psychologischen Fragestellung beider Fälle dienen könnten, möchte ich nicht
behaupten, Einzelnes, wie billig, ausgenommen. So wird zum Beispiel mit tie-
fer Instinkt-Sicherheit bereits hier das Elementarische in der Natur Wagners
als eine Schauspieler-Begabung bezeichnet, die in seinen Mitteln und Absich-
ten nur ihre Folgerungen zieht" (KSA 6, 319, 19-26).
Ein Nachlass-Notat von 1885 mit dem markanten Titel „Neue unzeitge-
mäße Betrachtung" (NL 1885, 41 [2], KSA 11, 669) enthält ebenfalls eine
aufschlussreiche Retrospektive N.s auf UB III SE und UB IV WB, in der sich ein