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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0408
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Stellenkommentar UB IV WB 2, KSA 1, S. 434-436 381

des Polizeiaktuars und studierten Juristen Carl Friedrich Wilhelm Wagner
(1770-1813) in Leipzig geboren. Für künstlerische Belange waren beide Eltern
sehr aufgeschlossen. Schon ein halbes Jahr nach der Geburt Richard Wagners
starb sein Vater an Typhus. Wagners Mutter heiratete neun Monate später er-
neut, und zwar einen Freund ihres ersten Mannes, den Schauspieler Ludwig
Geyer (1779-1821), der auch Theaterstücke schrieb und zu Richard Wagners
Stiefvater wurde, allerdings am 30. September 1821, sieben Jahre nach der
Hochzeit, ebenfalls starb. Wichtige Bildungsimpulse erhielt der Junge später
durch seinen Onkel Adolph Wagner, einen Philologen, der als Übersetzer der
Werke des Sophokles hervorgetreten war und auf Spaziergängen mit seinem
Neffen Shakespeare rezitierte. Durch seine Bibliothek bekam Richard Wagner
Gelegenheit, die großen Dichter der Weltliteratur kennenzulernen.
435, 31 eine nervöse Hast] In einer Vorstufe des Textes heißt es: „Hast [welche
krankhafte Ausgeburten des Gehirns]" (KSA 14, 82).
436, 1-2 ein unvermitteltes Umschlagen aus Augenblicken seelenvollster Ge-
müthsstille in das Gewaltsame und Lärmende] Eine frühere Textversion lautet:
„etwas Lärmendes, Schreiendes, Sprudelndes aller Äußerungen, eine Flucht
vor dem Gleichmaaße, dem Fleiße und einer seelenvollen Gemüthsstille"
(KSA 14, 82).
436, 3-4 Ihn schränkte keine strenge erb- und familienhafte Kunstübung ein] N.
spielt hier darauf an, dass Richard Wagner seine Kindheit ohne die Autorität
eines Vaters verbrachte und deshalb besondere Freiheiten genoss. In KSA 14,
82 findet sich eine Textvariante: „[...] ein; [das Leben lief zerfahren und ohne
Steuer zwischen den Anregungen zu den verschiedensten Berufsarten dahin]".
436, 6-7 er sei zum Dilettantisiren geboren] N.s spätere Polemik gegen Richard
Wagner, die sich in seinen Schriften Der Fall Wagner (1888) und Nietzsche con-
tra Wagner (1889) besonders radikal ausprägt, ist schon in UB IV WB präfigu-
riert. Bereits im Frühjahr 1874 notiert N.: „Die Jugend Wagner's ist die eines
vielseitigen Dilettanten, aus dem nichts Rechtes werden will" (NL 1874, 32 [15],
KSA 7, 759). Zum Zeitpunkt der Niederschrift von UB IV WB beurteilte N. die
gattungsüberschreitenden Experimente des Komponisten noch nicht so kri-
tisch wie in den späten Anti-Wagner-Schriften. - Diese Dilettantismus-Proble-
matik reflektiert auch Thomas Mann, wenn er 1933 in seinem Essay Leiden
und Größe Richard Wagners erklärt: „Sein Verhältnis zu den Einzelkünsten, aus
denen er sein ,Gesamtkunstwerk' schuf, ist des Nachdenkens wert; es liegt
etwas eigentümlich Dilettantisches darin, wie denn Nietzsche in seiner wag-
nerfrommen Vierten Unzeitgemäßen Betrachtung' über Wagners Kindheit und
Jugend sagt: ,Seine Jugend ist die eines vielseitigen Dilettanten, aus dem
 
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