382 Richard Wagner in Bayreuth
nichts Rechtes werden will [...]. Die Malerei, die Dichtkunst, die Schauspiele-
rei, die Musik kamen ihm so nahe als die gelehrtenhafte Erziehung und
Zukunft; wer oberflächlich hinblickte, möchte meinen, er sei zum Dilettanti-
sieren geboren.' - Tatsächlich und nicht nur oberflächlich, sondern mit Lei-
denschaft und Bewunderung hingeblickt, kann man sagen, auf die Gefahr hin,
mißverstanden zu werden, daß Wagners Kunst ein mit höchster Willenskraft
und Intelligenz monumentalisierter und ins Geniehafte getriebener Dilettan-
tismus ist" (Thomas Mann 1990, Bd. IX, 375-376). Wenig später konstatiert
Thomas Mann mit enthusiastischem Nachdruck: „Ich denke bei jenen ins
kühn Dilettantische eingesprengten Sprachgenialitäten besonders an den
,Ring des Nibelungen' und an den ,Lohengrin', der, als Wortschöpfung ge-
nommen, vielleicht das Reinste, Edelste und Schönste darstellt, was Wagner
gelungen ist" (ebd., 377). Und im Sinne dieser positiven Akzentuierung fährt
Thomas Mann fort: „Sein Genie ist eine dramatische Synthesis der Künste, die
nur als Ganzes, eben als Synthese, den Begriff des echten und legitimen Wer-
kes erfüllt" (ebd., 377). Seiner Ansicht nach setzt sich „das Genie Richard Wag-
ners [...] aus lauter Dilettantismen zusammen. / Aber aus was für welchen! Er
ist ein Musiker der Art, daß er auch die Unmusikalischen zur Musik überredet"
(ebd., 381).
436, 7-9 Die kleine Welt [...] war nicht der Art, dass man einem Künstler zu
einer solchen Heimath hätte Glück wünschen können.] Eine frühere Textversion
lautet: „er schien zum Dilettantisiren geboren. Schon zu einer Geburtsstadt wie
Leipzig kann sich niemand Glück wünschen; denn dort bildet sich aus der
allgemein anerzogenen Lust am geistigen Anschmecken, der Erregbarkeit und
Ungründlichkeit der Empfindung, dem Wechsel der litteratenhaften und buch-
händlerischen Gespräche und Moden und dem geschmeidigen Wesen der
Sachsen überhaupt, auf dem Grunde einer bürgerlichen tüchtigen, aber beeng-
ten Sittlichkeit, ein wunderlich unkräftiges, altkluges, aber rühriges Element,
welches man in der Geschichte der deutschen Gesittung durchaus nicht über-
sehen und unterschätzen darf, aber schwerlich zu verehren hat" (KSA 14, 82).
436, 10-11 der mit dem Vielerlei-Wissen verbundene Dünkel, wie er in Gelehrten-
Städten zu Hause ist] Spätestens seit den negativen Reaktionen der altphilologi-
schen Fachkollegen auf sein Erstlingswerk Die Geburt der Tragödie kritisiert N.
wiederholt und nachdrücklich die Gelehrten und ihre bloße Buchstabengelehr-
samkeit. Mit dieser Einschätzung schließt er an die Ansichten Richard Wagners
an. Zugleich teilt N. auch Schopenhauers Vorbehalte gegenüber dem Typus des
sterilen Gelehrten, den dieser immer wieder mit dem kreativen Genie kontras-
tiert. Auf Schopenhauers Schrift Ueber die Universitäts-Philosophie greift N.
schon in UB III SE zweimal explizit zurück (KSA 1, 413, 418). Darüber hinaus
nichts Rechtes werden will [...]. Die Malerei, die Dichtkunst, die Schauspiele-
rei, die Musik kamen ihm so nahe als die gelehrtenhafte Erziehung und
Zukunft; wer oberflächlich hinblickte, möchte meinen, er sei zum Dilettanti-
sieren geboren.' - Tatsächlich und nicht nur oberflächlich, sondern mit Lei-
denschaft und Bewunderung hingeblickt, kann man sagen, auf die Gefahr hin,
mißverstanden zu werden, daß Wagners Kunst ein mit höchster Willenskraft
und Intelligenz monumentalisierter und ins Geniehafte getriebener Dilettan-
tismus ist" (Thomas Mann 1990, Bd. IX, 375-376). Wenig später konstatiert
Thomas Mann mit enthusiastischem Nachdruck: „Ich denke bei jenen ins
kühn Dilettantische eingesprengten Sprachgenialitäten besonders an den
,Ring des Nibelungen' und an den ,Lohengrin', der, als Wortschöpfung ge-
nommen, vielleicht das Reinste, Edelste und Schönste darstellt, was Wagner
gelungen ist" (ebd., 377). Und im Sinne dieser positiven Akzentuierung fährt
Thomas Mann fort: „Sein Genie ist eine dramatische Synthesis der Künste, die
nur als Ganzes, eben als Synthese, den Begriff des echten und legitimen Wer-
kes erfüllt" (ebd., 377). Seiner Ansicht nach setzt sich „das Genie Richard Wag-
ners [...] aus lauter Dilettantismen zusammen. / Aber aus was für welchen! Er
ist ein Musiker der Art, daß er auch die Unmusikalischen zur Musik überredet"
(ebd., 381).
436, 7-9 Die kleine Welt [...] war nicht der Art, dass man einem Künstler zu
einer solchen Heimath hätte Glück wünschen können.] Eine frühere Textversion
lautet: „er schien zum Dilettantisiren geboren. Schon zu einer Geburtsstadt wie
Leipzig kann sich niemand Glück wünschen; denn dort bildet sich aus der
allgemein anerzogenen Lust am geistigen Anschmecken, der Erregbarkeit und
Ungründlichkeit der Empfindung, dem Wechsel der litteratenhaften und buch-
händlerischen Gespräche und Moden und dem geschmeidigen Wesen der
Sachsen überhaupt, auf dem Grunde einer bürgerlichen tüchtigen, aber beeng-
ten Sittlichkeit, ein wunderlich unkräftiges, altkluges, aber rühriges Element,
welches man in der Geschichte der deutschen Gesittung durchaus nicht über-
sehen und unterschätzen darf, aber schwerlich zu verehren hat" (KSA 14, 82).
436, 10-11 der mit dem Vielerlei-Wissen verbundene Dünkel, wie er in Gelehrten-
Städten zu Hause ist] Spätestens seit den negativen Reaktionen der altphilologi-
schen Fachkollegen auf sein Erstlingswerk Die Geburt der Tragödie kritisiert N.
wiederholt und nachdrücklich die Gelehrten und ihre bloße Buchstabengelehr-
samkeit. Mit dieser Einschätzung schließt er an die Ansichten Richard Wagners
an. Zugleich teilt N. auch Schopenhauers Vorbehalte gegenüber dem Typus des
sterilen Gelehrten, den dieser immer wieder mit dem kreativen Genie kontras-
tiert. Auf Schopenhauers Schrift Ueber die Universitäts-Philosophie greift N.
schon in UB III SE zweimal explizit zurück (KSA 1, 413, 418). Darüber hinaus