Stellenkommentar UB IV WB 3, KSA 1, S. 441-442 403
stand gemeint, sondern generell die ruhelose Existenz, unter der Wagner jahr-
zehntelang litt. Er selbst verwendete im Zusammenhang mit dieser Situation
auch das Verb ,wähnen'. Dass er diesen Zustand nach seiner Etablierung in
Bayreuth als beendet betrachtete, zeigt auch der Name, den er seiner Villa in
Bayreuth gab: „Hier wo mein Wähnen Frieden fand - Wahnfried - sei dieses
Haus von mir benannt." Diesen Spruch ließ Wagner auf der Vorderseite der
Villa Wahnfried eingravieren und mit seinem Namen versehen. Im Garten die-
ses repräsentativen Hauses, das Richard Wagner seit 1872 errichten ließ und
1874 mit seiner Familie bezog, wurde er nach seinem Tod in Venedig im Jahre
1883 bestattet. - Auch in Wagners Werken spielt der „Wahn" eine wichtige
Rolle: So hat er seiner Oper Die Meistersinger von Nürnberg einen Wahnmono-
log eingeschrieben: Hans Sachs grübelt im 3. Akt zunächst über den Wahn der
betörten Welt, den er zu einem positiven Ende lenken möchte; und dann singt
er: „Wahn! Wahn! Überall Wahn!"
442, 18-22 Der Erneuerer des einfachen Drama's, der Entdecker der Stellung
der Künste in der wahren menschlichen Gesellschaft, der dichtende Erklärer ver-
gangener Lebensbetrachtungen, der Philosoph, der Historiker, der Aesthetiker
und Kritiker Wagner, der Meister der Sprache, der Mytholog und Mythopoet] Hier
exponiert N. Aspekte, die Wagners ästhetische Konzeption eines Gesamtkunst-
werks bestimmen. Wesentlich ist in diesem Zusammenhang der Anspruch auf
eine Neudefinition der Künste, die sich nach Wagners Auffassung im Bereich
von Musik, Sprache, bildnerischer Gestaltung und gestischem Ausdruck zu ei-
ner umfassenden Einheit zusammenschließen sollen. Im Rahmen des Gesamt-
kunstwerks will Wagner den Musikdramen auch mithilfe neugedichteter My-
then eine maximale Wirkung sichern.
442, 23-25 der zum ersten Male einen Ring um das herrliche uralte ungeheure
Gebilde schloss und die Runen seines Geistes darauf eingrub] Wagner legte sei-
nen Musikdramen Sagen und Mythen zugrunde, um sie durch künstlerische
Transformation zu revitalisieren. Daher wird er von N. in UB IV WB als „Mytho-
log und Mythopoet" bezeichnet (442, 22). Das regressive und antiaufklärerische
Moment, das dieser Grundtendenz innewohnt, charakterisiert N. in Menschli-
ches, Allzumenschliches später folgendermaßen: „Wagner's Aneignung der alt-
heimischen Sagen, sein veredelndes Schalten und Walten unter deren so fremd-
artigen Göttern und Helden [...], die Neubeseelung dieser Gestalten, denen er
den christlich-mittelalterlichen Durst nach verzückter Sinnlichkeit und Entsinn-
lichung dazugab [...]: dieser Geist führt den allerletzten Kriegs- und Reacti-
onszug an gegen den Geist der Aufklärung [...]" (KSA 2, 451, 8-19).
Richard Wagner selbst erläutert sein Interesse am Mythos beispielsweise
in seiner Abhandlung „Zukunftsmusik": „Als den idealen Stoff des Dichters
stand gemeint, sondern generell die ruhelose Existenz, unter der Wagner jahr-
zehntelang litt. Er selbst verwendete im Zusammenhang mit dieser Situation
auch das Verb ,wähnen'. Dass er diesen Zustand nach seiner Etablierung in
Bayreuth als beendet betrachtete, zeigt auch der Name, den er seiner Villa in
Bayreuth gab: „Hier wo mein Wähnen Frieden fand - Wahnfried - sei dieses
Haus von mir benannt." Diesen Spruch ließ Wagner auf der Vorderseite der
Villa Wahnfried eingravieren und mit seinem Namen versehen. Im Garten die-
ses repräsentativen Hauses, das Richard Wagner seit 1872 errichten ließ und
1874 mit seiner Familie bezog, wurde er nach seinem Tod in Venedig im Jahre
1883 bestattet. - Auch in Wagners Werken spielt der „Wahn" eine wichtige
Rolle: So hat er seiner Oper Die Meistersinger von Nürnberg einen Wahnmono-
log eingeschrieben: Hans Sachs grübelt im 3. Akt zunächst über den Wahn der
betörten Welt, den er zu einem positiven Ende lenken möchte; und dann singt
er: „Wahn! Wahn! Überall Wahn!"
442, 18-22 Der Erneuerer des einfachen Drama's, der Entdecker der Stellung
der Künste in der wahren menschlichen Gesellschaft, der dichtende Erklärer ver-
gangener Lebensbetrachtungen, der Philosoph, der Historiker, der Aesthetiker
und Kritiker Wagner, der Meister der Sprache, der Mytholog und Mythopoet] Hier
exponiert N. Aspekte, die Wagners ästhetische Konzeption eines Gesamtkunst-
werks bestimmen. Wesentlich ist in diesem Zusammenhang der Anspruch auf
eine Neudefinition der Künste, die sich nach Wagners Auffassung im Bereich
von Musik, Sprache, bildnerischer Gestaltung und gestischem Ausdruck zu ei-
ner umfassenden Einheit zusammenschließen sollen. Im Rahmen des Gesamt-
kunstwerks will Wagner den Musikdramen auch mithilfe neugedichteter My-
then eine maximale Wirkung sichern.
442, 23-25 der zum ersten Male einen Ring um das herrliche uralte ungeheure
Gebilde schloss und die Runen seines Geistes darauf eingrub] Wagner legte sei-
nen Musikdramen Sagen und Mythen zugrunde, um sie durch künstlerische
Transformation zu revitalisieren. Daher wird er von N. in UB IV WB als „Mytho-
log und Mythopoet" bezeichnet (442, 22). Das regressive und antiaufklärerische
Moment, das dieser Grundtendenz innewohnt, charakterisiert N. in Menschli-
ches, Allzumenschliches später folgendermaßen: „Wagner's Aneignung der alt-
heimischen Sagen, sein veredelndes Schalten und Walten unter deren so fremd-
artigen Göttern und Helden [...], die Neubeseelung dieser Gestalten, denen er
den christlich-mittelalterlichen Durst nach verzückter Sinnlichkeit und Entsinn-
lichung dazugab [...]: dieser Geist führt den allerletzten Kriegs- und Reacti-
onszug an gegen den Geist der Aufklärung [...]" (KSA 2, 451, 8-19).
Richard Wagner selbst erläutert sein Interesse am Mythos beispielsweise
in seiner Abhandlung „Zukunftsmusik": „Als den idealen Stoff des Dichters