406 Richard Wagner in Bayreuth
443, 8-9 Ebensowenig hat er gelernt, sich durch Historie und Philosophie zur
Ruhe zu bringen] In UB II HL reflektiert N. die Problematik des Historismus und
der Epigonalität in der Kultur des 19. Jahrhunderts, in der er die Ursache für
den Niedergang kreativer Kräfte in seinem Zeitalter sieht.
443, 11-13 Weder der schaffende, noch der kämpfende Künstler wurde durch
das Lernen und die Bildung von seiner Laufbahn abgezogen.] In einer früheren
Textversion heißt es: „Er geht nicht nur durch das Feuer, sondern auch durch
den Dampf des Wissens und der Gelehrsamkeit hindurch - [die Treue gegen
sich selbst oder] [was war es, das ihn rettete? War es nicht Treue] mit jener
Treue gegen ein höheres Selbst [...], welche ihn aus seinen schwersten Gefah-
ren herausrettete. Dieses höhere Selbst verlangte von ihm eine Gesammt-
that seines Wesens und hieß ihn leiden und lernen, um jene That thun zu
können; es führte ihn zur Prüfung und Stärkung an immer schwereren Aufga-
ben vorbei. Die höchsten Gefahren und Prüfungen waren aber nicht die des
Leidenden, nicht die des Lernenden, sondern die des Schaffenden"
(KSA 14, 85).
443, 20-23 in das einzelne Ereigniss das Typische ganzer Zeiten hineindichten
und so eine Wahrheit der Darstellung erreichen, wie sie der Historiker nie er-
reicht] In mehreren seiner theoretischen Schriften betont Wagner, dass sich der
Künstler auf das Wesentliche fokussieren kann - anders als der Historiker, der
eine Vielzahl von Ereignissen verarbeiten muss. Auch N. erblickt die Aufgabe
des Künstlers darin, ein Konzentrat der Geschehnisse hervorzubringen, in dem
diese so verdichtet erscheinen, dass ihre Essenz markant hervortritt. Offen-
sichtlich ist Wagner und N. die Differenzierung zwischen Poesie und Historie
geläufig, die Aristoteles im 9. Kapitel seiner Poetik vornimmt: Nach seiner Auf-
fassung stellt die Dichtung das Allgemeine und Notwendige dar, die Ge-
schichtsschreibung hingegen das Besondere und Zufällige.
443, 23-25 Wo ist das ritterliche Mittelalter so mit Fleisch und Geist in ein Ge-
bilde übergegangen, wie diess im Lohengrin geschehen ist?] In dieser rhetori-
schen Frage übernimmt N. die Selbsteinschätzung Wagners: Am 6. Juni 1879
notiert Cosima Wagner im Tagebuch, ihr Mann habe ihr erklärt, „er würde jetzt
etwas aussprechen, was sehr nach Eigenlob klinge: Er gedächte des Lohengrin
und fände, dass er darin ein vollkommenes Bild des Mittelalters gegeben hätte.
Er erwähnt u. a. der Türmer, wie sie da rufen, auch des Kampfes vorher. Ich
füge hinzu, daß Lohengrin das einzige Monument für die Schönheit des Mittel-
alters sei" (Cosima Wagner: Tagebücher, Bd. II, 1977, 361). - Entgegen dieser
Einschätzung wurde in der Forschung allerdings immer wieder gezeigt, dass
sich Wagners Bild des Mittelalters fundamental von der historischen Realität
des Mittelalters unterscheidet.
443, 8-9 Ebensowenig hat er gelernt, sich durch Historie und Philosophie zur
Ruhe zu bringen] In UB II HL reflektiert N. die Problematik des Historismus und
der Epigonalität in der Kultur des 19. Jahrhunderts, in der er die Ursache für
den Niedergang kreativer Kräfte in seinem Zeitalter sieht.
443, 11-13 Weder der schaffende, noch der kämpfende Künstler wurde durch
das Lernen und die Bildung von seiner Laufbahn abgezogen.] In einer früheren
Textversion heißt es: „Er geht nicht nur durch das Feuer, sondern auch durch
den Dampf des Wissens und der Gelehrsamkeit hindurch - [die Treue gegen
sich selbst oder] [was war es, das ihn rettete? War es nicht Treue] mit jener
Treue gegen ein höheres Selbst [...], welche ihn aus seinen schwersten Gefah-
ren herausrettete. Dieses höhere Selbst verlangte von ihm eine Gesammt-
that seines Wesens und hieß ihn leiden und lernen, um jene That thun zu
können; es führte ihn zur Prüfung und Stärkung an immer schwereren Aufga-
ben vorbei. Die höchsten Gefahren und Prüfungen waren aber nicht die des
Leidenden, nicht die des Lernenden, sondern die des Schaffenden"
(KSA 14, 85).
443, 20-23 in das einzelne Ereigniss das Typische ganzer Zeiten hineindichten
und so eine Wahrheit der Darstellung erreichen, wie sie der Historiker nie er-
reicht] In mehreren seiner theoretischen Schriften betont Wagner, dass sich der
Künstler auf das Wesentliche fokussieren kann - anders als der Historiker, der
eine Vielzahl von Ereignissen verarbeiten muss. Auch N. erblickt die Aufgabe
des Künstlers darin, ein Konzentrat der Geschehnisse hervorzubringen, in dem
diese so verdichtet erscheinen, dass ihre Essenz markant hervortritt. Offen-
sichtlich ist Wagner und N. die Differenzierung zwischen Poesie und Historie
geläufig, die Aristoteles im 9. Kapitel seiner Poetik vornimmt: Nach seiner Auf-
fassung stellt die Dichtung das Allgemeine und Notwendige dar, die Ge-
schichtsschreibung hingegen das Besondere und Zufällige.
443, 23-25 Wo ist das ritterliche Mittelalter so mit Fleisch und Geist in ein Ge-
bilde übergegangen, wie diess im Lohengrin geschehen ist?] In dieser rhetori-
schen Frage übernimmt N. die Selbsteinschätzung Wagners: Am 6. Juni 1879
notiert Cosima Wagner im Tagebuch, ihr Mann habe ihr erklärt, „er würde jetzt
etwas aussprechen, was sehr nach Eigenlob klinge: Er gedächte des Lohengrin
und fände, dass er darin ein vollkommenes Bild des Mittelalters gegeben hätte.
Er erwähnt u. a. der Türmer, wie sie da rufen, auch des Kampfes vorher. Ich
füge hinzu, daß Lohengrin das einzige Monument für die Schönheit des Mittel-
alters sei" (Cosima Wagner: Tagebücher, Bd. II, 1977, 361). - Entgegen dieser
Einschätzung wurde in der Forschung allerdings immer wieder gezeigt, dass
sich Wagners Bild des Mittelalters fundamental von der historischen Realität
des Mittelalters unterscheidet.