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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0436
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Stellenkommentar UB IV WB 3, KSA 1, S. 443-445 409

ein prachtvolles Exemplar des ,Beethoven', dann eine stattliche Ausgabe des
ganzen Montaigne (den ich sehr verehre) und - etwas ganz Einziges - das
erste Exemplar vom Klavierauszuge des ,Siegfried' erster Act, eben fertig
geworden" (KSB 3, Nr. 116, S. 172).
444, 13-17 Wenn die Deutschen seit einem Jahrhundert besonders den histori-
schen Studien obgelegen haben, so zeigt diess, dass sie in der Bewegung der
neueren Welt die aufhaltende, verzögernde, beruhigende Macht sind] Eine ähnli-
che Einschätzung vertritt N. auch noch in der „Nachschrift" zu seiner Schrift
Der Fall Wagner. Hier beschreibt er die „Deutschen" als „die Verzögerer par
excellence in der Geschichte" und als „das zurückgebliebenste Culturvolk
Europa's" (KSA 6, 41, 8-10).
445, 6-7 Wäre die Historie nicht immer noch eine verkappte christliche Theodi-
cee] Unter ,Theodizee' versteht man die Rechtfertigung Gottes angesichts der
von ihm zugelassenen Übel in der Welt. Der Begriff der Theodizee stammt von
Leibniz, dessen Essais de Theodicee sur la honte de Dieu, la liberte de l'homme
et l'origine du mal im Jahre 1710 erschienen sind. N. variiert in der vorliegenden
Textpassage eine These von Ludwig Feuerbach (1804-1872), der die Philoso-
phie seiner Epoche als verkappte Theologie bezeichnete, weil sie noch zu sehr
vom Christentum geprägt sei. Vermutlich fand N. den Satz bei Wagner (vgl.
GSD III, 3), der jahrelang zu den Anhängern von Feuerbachs Religionskritik
zählte. Da sich auch N. selbst in seiner Jugend mit Feuerbachs Konzepten aus-
einandersetzte, sind markante Parallelen zwischen der Philosophie Feuerbachs
und N.s eigenen frühen Positionen zu erkennen. Im vorliegenden Kontext wei-
tet N. das Postulat einer von christlichen Dogmen unabhängigen Philosophie
auch auf die Geschichtsschreibung aus.
445, 32-33 durch den Dampf des Wissens und der Gelehrsamkeit] Vermutlich
implizite Anspielung auf Goethes Faust I. In der Szene „Nacht" spricht Faust
schon zu Beginn des Dramas im Zusammenhang mit seinem Überdruss an der
sterilen Gelehrtenexistenz von „Wissensqualm" (V. 396).
445, 31 durch das Feuer verschiedener philosophischer Systeme] Richard Wag-
ner entwickelte im Laufe seines Lebens Interesse an unterschiedlichen philoso-
phischen Systemen: In seiner frühen Leipziger Zeit interessierte er sich für den
Deutschen Idealismus, in der Revolutionszeit um 1848 für die anarchistischen
Schriften Pierre-Joseph Proudhons (1809-1865), die sich gegen bürgerliche Ei-
gentumsverhältnisse richteten, und für die materialistische Lehre des linkshe-
gelianischen Philosophen Ludwig Feuerbach (1804-1872). Zu Proudhon vgl.
auch NK 450, 21, zu Feuerbach NK 445, 6-7. Als weiteres Gedankensystem hatte
die Philosophie Schopenhauers großen Einfluss auf Wagner. Vor allem wäh-
 
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