Metadaten

Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0457
License: In Copyright
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
430 Richard Wagner in Bayreuth

tumsverhältnisse mit dem bekannten Satz „Eigentum ist Diebstahl" („La pro-
priete, c'est le vol"), mit dem er zumindest das durch Zinsgewinn erworbene
Eigentum verurteilte. Zum heterogenen Spektrum von Wagners ideologischen
Prägungen, zu denen in der Zeit seiner Begeisterung für die Revolution auch
das Interesse an Proudhon gehörte, vgl. NK 445, 31 und NK 448, 4-10.
450, 26-29 Könnte man sie des verzagenden Unmuthes berauben! Ich weiss es:
wenn man gerade den stillen Beitrag dieser Naturen von dem Ertrage unseres
gesammten Bildungswesens abstriche, es wäre der empfindlichste Aderlass] Zu
dieser Passage findet sich in der KGW eine andere Textversion: „Wenn man die
tief Unzufriedenen nur einmal zur offenen Empörung und Erklärung treiben
und man ihnen den verzagenden Unmuth benehmen könnte! Schiede man
nämlich ihre stille Arbeit dem gesammelten Bildungswesen ab [...]" (KGW IV
4, 127).
451, 5-28 Wer [...] kämpft, darf sich [...] am wenigsten fürchten: denn seine
eigentlichen Feinde stehen erst vor ihm, wenn er seinen Kampf, den er einstweilen
gegen ihre Vorhut, die heutige Cultur führt, zu Ende gebracht hat. / Für uns be-
deutet Bayreuth die Morgen-Weihe am Tage des Kampfes [...] den Kampf der
Einzelnen mit Allem [...] Die Einzelnen [...], wenn sie sich im Kampfe [...] opfern.
[...] Der Tag und der Kampf bricht gleich an] N.s Kampf-Rhetorik, die auf die
Kultur zielt (vgl. NK 450, 8-13), erreicht in dieser Textpartie ihren Höhepunkt.
Passagenweise ist auch bereits die Geburt der Tragödie von einer derartigen
Rhetorik des Kampfes bestimmt: vgl. z. B. KSA 1, 102, 17-30. Und schon das
„Vorwort an Richard Wagner", das N. der Tragödienschrift voranstellte, widmet
er Richard Wagner als seinem „erhabenen Vorkämpfer" (KSA 1, 24, 16-17). Mit
den „eigentlichen Feinde[n]", deren Vorhut die gegenwärtige „Cultur" sei,
meint N. - analog zu Wagner - den Staat. Vgl. dazu auch NK 451, 14-18.
451, 14-18 Wir sehen im Bilde jenes tragischen Kunstwerkes von Bayreuth gera-
de den Kampf der Einzelnen mit Allem, was ihnen als scheinbar unbezwingliche
Nothwendigkeit entgegentritt, mit Macht, Gesetz, Herkommen, Vertrag und gan-
zen Ordnungen der Dinge.] Dass Wagners Intention insofern über die ästheti-
sche Sphäre hinausweist, betont N. auch in einem nachgelassenen Notat: „Wie
Unrecht thäte man, anzunehmen, Wagner sei es um die Kunst allein zu thun
und er betrachte sie als das Heilpflaster für alle übrigen elenden Zustände! [...]
Die Kunst ist der Traum für den Schlaf des Kämpfers" (NL 1875, 11 [20], KSA 8,
205-206). Inwiefern sich N. mit seinen Reflexionen über Kampf, Individualität
und gesellschaftliche Ordnung an revolutionären Auffassungen Wagners ori-
entiert, für die er sich zeitweilig begeisterte (vgl. Niemeyer 2016, 113), geht aus
dessen Schrift Oper und Drama hervor: „[...] die allen Gliedern der Ge-
sellschaft gemeinsame Nothwendigkeit der freien Selbstbe-
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften