Stellenkommentar UB IV WB 4, KSA 1, S. 453 437
Denn an den einzelnen Beispielen einer solchen Vernichtung wird uns nur das
ewige Phänomen der dionysischen Kunst deutlich gemacht, die den Willen in
seiner Allmacht gleichsam hinter dem principio individuationis, das ewige
Leben jenseit [sic] aller Erscheinung und trotz aller Vernichtung zum Ausdruck
bringt. Die metaphysische Freude am Tragischen ist eine Uebersetzung der in-
stinctiv unbewussten dionysischen Weisheit in die Sprache des Bildes: der
Held, die höchste Willenserscheinung, wird zu unserer Lust verneint, weil er
doch nur Erscheinung ist, und das ewige Leben des Willens durch seine Ver-
nichtung nicht berührt wird. ,Wir glauben an das ewige Leben', so ruft die
Tragödie; während die Musik die unmittelbare Idee dieses Lebens ist" (KSA 1,
108, 10-24). In der Götzen-Dämmerung verbindet N. den „Begriff des tragi-
schen Gefühls" später sogar mit einer „Psychologie des Orgiasmus als eines
überströmenden Lebens- und Kraftgefühls, innerhalb dessen selbst der
Schmerz noch als Stimulans wirkt" (KSA 6, 160, 6-9). Zu den fundamentalen
Divergenzen im Hinblick auf die Deutung des Tragischen bei Schopenhauer
und N., die sich nach der Tragödienschrift durch N.s Abkehr von Schopenhau-
er ergeben haben, vgl. NK 451, 21-23.
453, 26-29 und wiederum giebt es keine beseligendere Lust als Das zu wissen,
was wir wissen - wie der tragische Gedanke wieder hinein in die Welt geboren
ist. Denn diese Lust ist eine völlig überpersönliche und allgemeine] Zur tragi-
schen „Lust" vgl. N.s Darlegungen in den Kapiteln 17 und 24 der Geburt der
Tragödie. Am Anfang von Kapitel 17 schreibt er: „Auch die dionysische Kunst
will uns von der ewigen Lust des Daseins überzeugen: nur sollen wir diese
Lust nicht in den Erscheinungen, sondern hinter den Erscheinungen suchen.
Wir sollen erkennen, wie alles, was entsteht, zum leidvollen Untergange bereit
sein muss, wir werden gezwungen in die Schrecken der Individualexistenz
hineinzublicken - und sollen doch nicht erstarren: ein metaphysischer Trost
reisst uns momentan aus dem Getriebe der Wandelgestalten heraus. Wir sind
wirklich in kurzen Augenblicken das Urwesen selbst und fühlen dessen unbän-
dige Daseinsgier und Daseinslust; der Kampf, die Qual, die Vernichtung der
Erscheinungen dünkt uns jetzt wie nothwendig, bei dem Uebermaass von un-
zähligen, sich in's Leben drängenden und stossenden Daseinsformen, bei der
überschwänglichen Fruchtbarkeit des Weltwillens; wir werden von dem wü-
thenden Stachel dieser Qualen in demselben Augenblicke durchbohrt, wo wir
gleichsam mit der unermesslichen Urlust am Dasein eins geworden sind und
wo wir die Unzerstörbarkeit und Ewigkeit dieser Lust in dionysischer Entzü-
ckung ahnen" (KSA 1, 109, 2-19). Anschließend betont N., „wie das tragische
Kunstwerk der Griechen wirklich aus dem Geiste der Musik herausgeboren ist"
(KSA 1, 109, 23-25). Und Wagners Musikdramen hält er für „die Wiederge-
burt der Tragödie" (KSA 1, 129, 6-7). Vgl. auch eine Textpassage aus dem
Denn an den einzelnen Beispielen einer solchen Vernichtung wird uns nur das
ewige Phänomen der dionysischen Kunst deutlich gemacht, die den Willen in
seiner Allmacht gleichsam hinter dem principio individuationis, das ewige
Leben jenseit [sic] aller Erscheinung und trotz aller Vernichtung zum Ausdruck
bringt. Die metaphysische Freude am Tragischen ist eine Uebersetzung der in-
stinctiv unbewussten dionysischen Weisheit in die Sprache des Bildes: der
Held, die höchste Willenserscheinung, wird zu unserer Lust verneint, weil er
doch nur Erscheinung ist, und das ewige Leben des Willens durch seine Ver-
nichtung nicht berührt wird. ,Wir glauben an das ewige Leben', so ruft die
Tragödie; während die Musik die unmittelbare Idee dieses Lebens ist" (KSA 1,
108, 10-24). In der Götzen-Dämmerung verbindet N. den „Begriff des tragi-
schen Gefühls" später sogar mit einer „Psychologie des Orgiasmus als eines
überströmenden Lebens- und Kraftgefühls, innerhalb dessen selbst der
Schmerz noch als Stimulans wirkt" (KSA 6, 160, 6-9). Zu den fundamentalen
Divergenzen im Hinblick auf die Deutung des Tragischen bei Schopenhauer
und N., die sich nach der Tragödienschrift durch N.s Abkehr von Schopenhau-
er ergeben haben, vgl. NK 451, 21-23.
453, 26-29 und wiederum giebt es keine beseligendere Lust als Das zu wissen,
was wir wissen - wie der tragische Gedanke wieder hinein in die Welt geboren
ist. Denn diese Lust ist eine völlig überpersönliche und allgemeine] Zur tragi-
schen „Lust" vgl. N.s Darlegungen in den Kapiteln 17 und 24 der Geburt der
Tragödie. Am Anfang von Kapitel 17 schreibt er: „Auch die dionysische Kunst
will uns von der ewigen Lust des Daseins überzeugen: nur sollen wir diese
Lust nicht in den Erscheinungen, sondern hinter den Erscheinungen suchen.
Wir sollen erkennen, wie alles, was entsteht, zum leidvollen Untergange bereit
sein muss, wir werden gezwungen in die Schrecken der Individualexistenz
hineinzublicken - und sollen doch nicht erstarren: ein metaphysischer Trost
reisst uns momentan aus dem Getriebe der Wandelgestalten heraus. Wir sind
wirklich in kurzen Augenblicken das Urwesen selbst und fühlen dessen unbän-
dige Daseinsgier und Daseinslust; der Kampf, die Qual, die Vernichtung der
Erscheinungen dünkt uns jetzt wie nothwendig, bei dem Uebermaass von un-
zähligen, sich in's Leben drängenden und stossenden Daseinsformen, bei der
überschwänglichen Fruchtbarkeit des Weltwillens; wir werden von dem wü-
thenden Stachel dieser Qualen in demselben Augenblicke durchbohrt, wo wir
gleichsam mit der unermesslichen Urlust am Dasein eins geworden sind und
wo wir die Unzerstörbarkeit und Ewigkeit dieser Lust in dionysischer Entzü-
ckung ahnen" (KSA 1, 109, 2-19). Anschließend betont N., „wie das tragische
Kunstwerk der Griechen wirklich aus dem Geiste der Musik herausgeboren ist"
(KSA 1, 109, 23-25). Und Wagners Musikdramen hält er für „die Wiederge-
burt der Tragödie" (KSA 1, 129, 6-7). Vgl. auch eine Textpassage aus dem