Stellenkommentar UB IV WB 5, KSA 1, S. 456 447
bei einem ordnungsmäßigen Philosophieren hervortritt" (Descartes: Principia
philosophiae. Die Prinzipien der Philosophie, 2005, Kapitel 1, Absatz 7).
Unter Berufung auf den Primat des Lebens vor dem Erkennen distanziert
sich N. in UB II HL mit einer indirekten Argumentation vom cartesianischen
„cogito, ergo sum", indem er erklärt: „als eine solche unlebendige und doch
unheimlich regsame Begriffs- und Wort-Fabrik habe ich vielleicht noch das
Recht von mir zu sagen cogito, ergo sum, nicht aber vivo, ergo cogito" (KSA 1,
329, 6-9). Beeinflusst von der Willensmetaphysik Schopenhauers, der die es-
sentielle Abhängigkeit des Intellekts vom Willen behauptet (vgl. z. B. WWV I,
§ 27, Hü 181; WWV I, § 54, Hü 323; WWV II, Kap. 20, Hü 293), plädiert N. dort
im Medium der Negation für ein „vivo, ergo cogito", indem er das „cogito, ergo
sum" mit einem sterilen Rationalismus assoziiert. In diesem Sinne bringt N.
seine kritische Distanz gegenüber Descartes' Diktum „cogito, ergo sum" wenig
später in der rhetorischen Frage zum Ausdruck: „Soll nun das Leben über das
Erkennen, über die Wissenschaft, soll das Erkennen über das Leben herr-
schen?" (KSA 1, 330, 30-31). Und seine Antwort lautet: „Niemand wird zwei-
feln: das Leben ist die höhere, die herrschende Gewalt, denn ein Erkennen,
welches das Leben vernichtete, würde sich selbst mit vernichtet haben. Das
Erkennen setzt das Leben voraus, hat also an der Erhaltung des Lebens dassel-
be Interesse, welches jedes Wesen an seiner eignen Fortexistenz hat" (KSA 1,
330, 32 - 331, 3). Während N. den Grundsatz „cogito, ergo sum" aus Descartes'
Principia philosophiae in UB II HL kritisiert und ihm die Maxime „vivo, ergo
cogito" gegenüberstellt (KSA 1, 329, 6-9), hebt er den Kontrast von ,vivere' und
,cogitare' in der Fröhlichen Wissenschaft in einer höheren Synthese auf: „Noch
lebe ich, noch denke ich: ich muss noch leben, denn ich muss noch denken.
Sum, ergo cogito: cogito, ergo sum" (KSA 3, 521, 13-15).
N.s Kritik an Descartes' erkenntnistheoretischem Prinzip „cogito, ergo
sum" erhellt auch aus Jenseits von Gut und Böse, wo N. „jenes alte berühmte
,Ich"' verabschiedet und das „ich [...] denke" durch „es denkt" substituiert
(KSA 5, 31, 3-8). Dabei vermutet er sogar, dass „schon mit diesem ,es denkt'
zu viel gethan" ist (KSA 5, 31, 8). Außerdem bezweifelt er, dass die Vorstellung
des ,Ich denke' als „unmittelbare Gewissheit" gelten kann (KSA 5, 31, 8), und
kritisiert den Status des Grundprinzips ,Cogito, ergo sum' (,Ich denke, also bin
ich'), das Descartes als ,fundamentum inconcussum' der Erkenntnis verstand.
Kritik an der cartesianischen Philosophie impliziert zuvor bereits der Text 115
in der Morgenröthe: Schon der Skepsis signalisierende Titel „Das soge-
nannte ,Ich'" (KSA 3, 107, 9) lässt einerseits N.s kritische Einstellung zu tra-
ditionellen idealistischen Subjekt-Konzepten erkennen (vgl. dazu NK 3/1, 196),
verrät andererseits aber auch seine Vorbehalte gegenüber Descartes' Grund-
prinzip „ego cogito, ergo sum" (vgl. Neymeyr 2012c, 94-96) und zielt insofern
bei einem ordnungsmäßigen Philosophieren hervortritt" (Descartes: Principia
philosophiae. Die Prinzipien der Philosophie, 2005, Kapitel 1, Absatz 7).
Unter Berufung auf den Primat des Lebens vor dem Erkennen distanziert
sich N. in UB II HL mit einer indirekten Argumentation vom cartesianischen
„cogito, ergo sum", indem er erklärt: „als eine solche unlebendige und doch
unheimlich regsame Begriffs- und Wort-Fabrik habe ich vielleicht noch das
Recht von mir zu sagen cogito, ergo sum, nicht aber vivo, ergo cogito" (KSA 1,
329, 6-9). Beeinflusst von der Willensmetaphysik Schopenhauers, der die es-
sentielle Abhängigkeit des Intellekts vom Willen behauptet (vgl. z. B. WWV I,
§ 27, Hü 181; WWV I, § 54, Hü 323; WWV II, Kap. 20, Hü 293), plädiert N. dort
im Medium der Negation für ein „vivo, ergo cogito", indem er das „cogito, ergo
sum" mit einem sterilen Rationalismus assoziiert. In diesem Sinne bringt N.
seine kritische Distanz gegenüber Descartes' Diktum „cogito, ergo sum" wenig
später in der rhetorischen Frage zum Ausdruck: „Soll nun das Leben über das
Erkennen, über die Wissenschaft, soll das Erkennen über das Leben herr-
schen?" (KSA 1, 330, 30-31). Und seine Antwort lautet: „Niemand wird zwei-
feln: das Leben ist die höhere, die herrschende Gewalt, denn ein Erkennen,
welches das Leben vernichtete, würde sich selbst mit vernichtet haben. Das
Erkennen setzt das Leben voraus, hat also an der Erhaltung des Lebens dassel-
be Interesse, welches jedes Wesen an seiner eignen Fortexistenz hat" (KSA 1,
330, 32 - 331, 3). Während N. den Grundsatz „cogito, ergo sum" aus Descartes'
Principia philosophiae in UB II HL kritisiert und ihm die Maxime „vivo, ergo
cogito" gegenüberstellt (KSA 1, 329, 6-9), hebt er den Kontrast von ,vivere' und
,cogitare' in der Fröhlichen Wissenschaft in einer höheren Synthese auf: „Noch
lebe ich, noch denke ich: ich muss noch leben, denn ich muss noch denken.
Sum, ergo cogito: cogito, ergo sum" (KSA 3, 521, 13-15).
N.s Kritik an Descartes' erkenntnistheoretischem Prinzip „cogito, ergo
sum" erhellt auch aus Jenseits von Gut und Böse, wo N. „jenes alte berühmte
,Ich"' verabschiedet und das „ich [...] denke" durch „es denkt" substituiert
(KSA 5, 31, 3-8). Dabei vermutet er sogar, dass „schon mit diesem ,es denkt'
zu viel gethan" ist (KSA 5, 31, 8). Außerdem bezweifelt er, dass die Vorstellung
des ,Ich denke' als „unmittelbare Gewissheit" gelten kann (KSA 5, 31, 8), und
kritisiert den Status des Grundprinzips ,Cogito, ergo sum' (,Ich denke, also bin
ich'), das Descartes als ,fundamentum inconcussum' der Erkenntnis verstand.
Kritik an der cartesianischen Philosophie impliziert zuvor bereits der Text 115
in der Morgenröthe: Schon der Skepsis signalisierende Titel „Das soge-
nannte ,Ich'" (KSA 3, 107, 9) lässt einerseits N.s kritische Einstellung zu tra-
ditionellen idealistischen Subjekt-Konzepten erkennen (vgl. dazu NK 3/1, 196),
verrät andererseits aber auch seine Vorbehalte gegenüber Descartes' Grund-
prinzip „ego cogito, ergo sum" (vgl. Neymeyr 2012c, 94-96) und zielt insofern