448 Richard Wagner in Bayreuth
auf eine Diskreditierung der neuzeitlichen Philosophie überhaupt (vgl. dazu
die kritische Analyse von Volker Gerhardt 2012, 45-47). Zu verschiedenen As-
pekten von N.s Auseinandersetzung mit Descartes vgl. die Untersuchung von
Campioni 2001, 49-64.
Sprachkritisch akzentuiert N. seine Kritik am cartesianischen „cogito, ergo
sum", wenn er in Jenseits von Gut und Böse eine Fehldeutung der Verbindung
von „ich" und „denke" von einer „grammatischen Gewohnheit" verursacht
sieht (KSA 5, 31, 3-11). In einem Nachlass-Notat entfaltet er (mit ausdrücklicher
Bezugnahme auf Descartes) eine ebenfalls sprachkritisch grundierte Argumen-
tation: „Seien wir vorsichtiger als Cartesius, welcher in dem Fallstrick der
Worte hängen blieb" (vgl. NL 1885, 40 [23], KSA 11, 639). Und in der Götzen-
Dämmerung schließlich erklärt N.: „das Ich [...] ist zur Fabel geworden, zur
Fiktion, zum Wortspiel: das hat ganz und gar aufgehört, zu denken, zu fühlen
und zu wollen! ... Was folgt daraus? Es giebt gar keine geistigen Ursachen!
Die ganze angebliche Empirie dafür gieng zum Teufel!" (KSA 6, 91, 7-11). Eine
explizite Auseinandersetzung mit Descartes bieten darüber hinaus mehrere
Nachlass-Notate von 1885 (NL 1885, 40 [20-25], KSA 11, 637-641), in denen N.
auch den „allerbeste[n] Wille[n] de omnibus dubitare, nach Art des Cartesius,"
kritisch hinterfragt (NL 1885, 40 [20], KSA 11, 638) und hypothetisch sogar mit
der Vorstellung eines Selbstbetrugs in Verbindung bringt (ebd.), um dann mit
dem Fazit zu schließen: „In summa: es ist zu bezweifeln, daß ,das Subjekt'
sich selber beweisen kann - dazu müßte es eben außerhalb einen festen Punkt
haben und der fehlt!" (NL 1885, 40 [20], KSA 11, 638).
456, 18-19 undin ihrer Kunst ertönt die in Liebe verwandelte Na-
tur] Auf den Zusammenhang von Natur, Erkenntnis und Kunst geht Richard
Wagner in seiner Schrift Das Kunstwerk der Zukunft (1849) ein, in der er seine
Idee vom ,Gesamtkunstwerk' entfaltet. Im Kapitel I „Der Mensch und die Kunst
im Allgemeinen" hat er den 1. Abschnitt mit dem Titel „Natur, Mensch und
Kunst" versehen (GSD III, 42 ff.); der 2. Abschnitt trägt den Titel „Leben, Wis-
senschaft und Kunst".
456, 22-25 Das Verhältniss zwischen Musik und Leben ist nicht nur das einer
Art Sprache zu einer anderen Art Sprache, es ist auch das Verhältniss der voll-
kommenen Hörwelt zu der gesammten Schauwelt.] Das Verhältnis zwischen der
„Hörwelt" der Musik, die mit der Innerlichkeit des Menschen verbunden ist,
und der „Schauwelt" äußerer Erscheinungen auf der Theaterbühne ist für Wag-
ners Konzeption des Gesamtkunstwerks von fundamentaler Bedeutung. Wenn
N. ihm attestiert, er wolle „über das Wesen der Welt in Vorgängen denken, in
Tönen philosophiren" (479, 13-14), dann signalisiert er Affinitäten zur Musik-
metaphysik Schopenhauers, die Wagners eigene Reflexionen zur Musik nach-
auf eine Diskreditierung der neuzeitlichen Philosophie überhaupt (vgl. dazu
die kritische Analyse von Volker Gerhardt 2012, 45-47). Zu verschiedenen As-
pekten von N.s Auseinandersetzung mit Descartes vgl. die Untersuchung von
Campioni 2001, 49-64.
Sprachkritisch akzentuiert N. seine Kritik am cartesianischen „cogito, ergo
sum", wenn er in Jenseits von Gut und Böse eine Fehldeutung der Verbindung
von „ich" und „denke" von einer „grammatischen Gewohnheit" verursacht
sieht (KSA 5, 31, 3-11). In einem Nachlass-Notat entfaltet er (mit ausdrücklicher
Bezugnahme auf Descartes) eine ebenfalls sprachkritisch grundierte Argumen-
tation: „Seien wir vorsichtiger als Cartesius, welcher in dem Fallstrick der
Worte hängen blieb" (vgl. NL 1885, 40 [23], KSA 11, 639). Und in der Götzen-
Dämmerung schließlich erklärt N.: „das Ich [...] ist zur Fabel geworden, zur
Fiktion, zum Wortspiel: das hat ganz und gar aufgehört, zu denken, zu fühlen
und zu wollen! ... Was folgt daraus? Es giebt gar keine geistigen Ursachen!
Die ganze angebliche Empirie dafür gieng zum Teufel!" (KSA 6, 91, 7-11). Eine
explizite Auseinandersetzung mit Descartes bieten darüber hinaus mehrere
Nachlass-Notate von 1885 (NL 1885, 40 [20-25], KSA 11, 637-641), in denen N.
auch den „allerbeste[n] Wille[n] de omnibus dubitare, nach Art des Cartesius,"
kritisch hinterfragt (NL 1885, 40 [20], KSA 11, 638) und hypothetisch sogar mit
der Vorstellung eines Selbstbetrugs in Verbindung bringt (ebd.), um dann mit
dem Fazit zu schließen: „In summa: es ist zu bezweifeln, daß ,das Subjekt'
sich selber beweisen kann - dazu müßte es eben außerhalb einen festen Punkt
haben und der fehlt!" (NL 1885, 40 [20], KSA 11, 638).
456, 18-19 undin ihrer Kunst ertönt die in Liebe verwandelte Na-
tur] Auf den Zusammenhang von Natur, Erkenntnis und Kunst geht Richard
Wagner in seiner Schrift Das Kunstwerk der Zukunft (1849) ein, in der er seine
Idee vom ,Gesamtkunstwerk' entfaltet. Im Kapitel I „Der Mensch und die Kunst
im Allgemeinen" hat er den 1. Abschnitt mit dem Titel „Natur, Mensch und
Kunst" versehen (GSD III, 42 ff.); der 2. Abschnitt trägt den Titel „Leben, Wis-
senschaft und Kunst".
456, 22-25 Das Verhältniss zwischen Musik und Leben ist nicht nur das einer
Art Sprache zu einer anderen Art Sprache, es ist auch das Verhältniss der voll-
kommenen Hörwelt zu der gesammten Schauwelt.] Das Verhältnis zwischen der
„Hörwelt" der Musik, die mit der Innerlichkeit des Menschen verbunden ist,
und der „Schauwelt" äußerer Erscheinungen auf der Theaterbühne ist für Wag-
ners Konzeption des Gesamtkunstwerks von fundamentaler Bedeutung. Wenn
N. ihm attestiert, er wolle „über das Wesen der Welt in Vorgängen denken, in
Tönen philosophiren" (479, 13-14), dann signalisiert er Affinitäten zur Musik-
metaphysik Schopenhauers, die Wagners eigene Reflexionen zur Musik nach-