Stellenkommentar UB IV WB 5, KSA 1, S. 457 451
dazu Goethes Drama Torquato Tasso (5. Aufzug, 5. Auftritt). Hier erklärt der
Protagonist Tasso: „Allein wir selbst betrügen uns so gern, / Und ehren die
Verworfnen die uns ehren. / Die Menschen kennen sich einander nicht; / Nur
die Galeerensklaven kennen sich, / Die eng an Eine Bank geschmiedet keu-
chen; / Wo keiner was zu fordern hat und keiner / Was zu verlieren hat, die
kennen sich! / Wo jeder sich für einen Schelmen gibt / Und seines Gleichen
auch für Schelmen nimmt. / Doch wir verkennen nur die andern höflich, /
Damit sie wieder uns verkennen sollen" (V. 3336-3346). Mit seinem Protagonis-
ten Torquato Tasso gestaltete Goethe einen Dichter, der auf besondere Weise
unter der Opposition von Kunst und Leben, unter dem Spannungsverhältnis
zwischen dem Künstler und der Gesellschaft leidet.
457, 31 - 458, 2 die von der Musik erfüllten Seelen [...] in einer Leidenschaft,
welche überpersönlich ist, sie erglühen von dem machtvoll ruhigen Feuer der Mu-
sik, das aus unerschöpflicher Tiefe in ihnen an's Licht quillt] Hier greift N. impli-
zit auf Schopenhauers Musikmetaphysik zurück. Mit der Begründung, dass die
Musik im Unterschied zu den anderen Kunstgattungen nicht bloß „das Abbild
der Ideen; sondern Abbild des Willens selbst" ist, erklärt Schopenhauer
in der Welt als Wille und Vorstellung I, dass „die Wirkung der Musik so sehr
viel mächtiger und eindringlicher, als die der andern Künste" ist: „denn diese
reden nur vom Schatten, sie aber vom Wesen" (WWV I, § 52, Hü 304). Er be-
schreibt die Musik als „überaus herrliche Kunst", denn sie „wirkt so mächtig
auf das Innerste des Menschen, wird dort so ganz und so tief von ihm verstan-
den, als eine ganz allgemeine Sprache, deren Deutlichkeit sogar die der an-
schaulichen Welt selbst übertrifft" (WWV I, § 52, Hü 302). Weil die Musik „nie
die Erscheinung, sondern allein das innere Wesen, das Ansich aller Erschei-
nung, den Willen selbst, ausspricht", drückt sie „nicht diese oder jene einzelne
und bestimmte Freude, diese oder jene Betrübniß, oder Schmerz, oder Entset-
zen, oder Jubel, oder Lustigkeit, oder Gemüthsruhe aus; sondern die Freude,
die Betrübniß, den Schmerz, das Entsetzen, den Jubel, die Lustigkeit, die
Gemüthsruhe selbst, gewissermaaßen in abstracto, das Wesentliche dersel-
ben, ohne alles Beiwerk, also auch ohne die Motive dazu. Dennoch verstehn
wir sie, in dieser abgezogenen Quintessenz, vollkommen" (WWV I, § 52,
Hü 308-309). Und in der Welt als Wille und Vorstellung II charakterisiert Scho-
penhauer die Musik dann folgendermaßen: „Weil die Musik nicht, gleich allen
andern Künsten, die Ideen, oder Stufen der Objektivation des Willens, son-
dern unmittelbar den Willen selbst darstellt; so ist hieraus auch erklärlich,
daß sie auf den Willen, d. i. die Gefühle, Leidenschaften und Affekte des Hö-
rers, unmittelbar einwirkt, so daß sie dieselben schnell erhöht, oder auch um-
stimmt" (WWV II, Kap. 39, Hü 512). Vgl. auch NK 458, 10-11. (Zum Sonderstatus
dazu Goethes Drama Torquato Tasso (5. Aufzug, 5. Auftritt). Hier erklärt der
Protagonist Tasso: „Allein wir selbst betrügen uns so gern, / Und ehren die
Verworfnen die uns ehren. / Die Menschen kennen sich einander nicht; / Nur
die Galeerensklaven kennen sich, / Die eng an Eine Bank geschmiedet keu-
chen; / Wo keiner was zu fordern hat und keiner / Was zu verlieren hat, die
kennen sich! / Wo jeder sich für einen Schelmen gibt / Und seines Gleichen
auch für Schelmen nimmt. / Doch wir verkennen nur die andern höflich, /
Damit sie wieder uns verkennen sollen" (V. 3336-3346). Mit seinem Protagonis-
ten Torquato Tasso gestaltete Goethe einen Dichter, der auf besondere Weise
unter der Opposition von Kunst und Leben, unter dem Spannungsverhältnis
zwischen dem Künstler und der Gesellschaft leidet.
457, 31 - 458, 2 die von der Musik erfüllten Seelen [...] in einer Leidenschaft,
welche überpersönlich ist, sie erglühen von dem machtvoll ruhigen Feuer der Mu-
sik, das aus unerschöpflicher Tiefe in ihnen an's Licht quillt] Hier greift N. impli-
zit auf Schopenhauers Musikmetaphysik zurück. Mit der Begründung, dass die
Musik im Unterschied zu den anderen Kunstgattungen nicht bloß „das Abbild
der Ideen; sondern Abbild des Willens selbst" ist, erklärt Schopenhauer
in der Welt als Wille und Vorstellung I, dass „die Wirkung der Musik so sehr
viel mächtiger und eindringlicher, als die der andern Künste" ist: „denn diese
reden nur vom Schatten, sie aber vom Wesen" (WWV I, § 52, Hü 304). Er be-
schreibt die Musik als „überaus herrliche Kunst", denn sie „wirkt so mächtig
auf das Innerste des Menschen, wird dort so ganz und so tief von ihm verstan-
den, als eine ganz allgemeine Sprache, deren Deutlichkeit sogar die der an-
schaulichen Welt selbst übertrifft" (WWV I, § 52, Hü 302). Weil die Musik „nie
die Erscheinung, sondern allein das innere Wesen, das Ansich aller Erschei-
nung, den Willen selbst, ausspricht", drückt sie „nicht diese oder jene einzelne
und bestimmte Freude, diese oder jene Betrübniß, oder Schmerz, oder Entset-
zen, oder Jubel, oder Lustigkeit, oder Gemüthsruhe aus; sondern die Freude,
die Betrübniß, den Schmerz, das Entsetzen, den Jubel, die Lustigkeit, die
Gemüthsruhe selbst, gewissermaaßen in abstracto, das Wesentliche dersel-
ben, ohne alles Beiwerk, also auch ohne die Motive dazu. Dennoch verstehn
wir sie, in dieser abgezogenen Quintessenz, vollkommen" (WWV I, § 52,
Hü 308-309). Und in der Welt als Wille und Vorstellung II charakterisiert Scho-
penhauer die Musik dann folgendermaßen: „Weil die Musik nicht, gleich allen
andern Künsten, die Ideen, oder Stufen der Objektivation des Willens, son-
dern unmittelbar den Willen selbst darstellt; so ist hieraus auch erklärlich,
daß sie auf den Willen, d. i. die Gefühle, Leidenschaften und Affekte des Hö-
rers, unmittelbar einwirkt, so daß sie dieselben schnell erhöht, oder auch um-
stimmt" (WWV II, Kap. 39, Hü 512). Vgl. auch NK 458, 10-11. (Zum Sonderstatus