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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0513
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486 Richard Wagner in Bayreuth

tiert er in seiner Welt als Wille und Vorstellung II, „daß das Genie wesentlich
einsam lebt. Es ist zu selten, als daß es leicht auf seines Gleichen treffen könn-
te, und zu verschieden von den Uebrigen, um ihr Geselle zu sein" (WWV II,
Kap. 31, Hü 446). - Der Einsamkeitstopos, auf den Schopenhauer hier rekur-
riert, ist ein wichtiger Aspekt auch in der romantischen Genieästhetik. Zur The-
matik des Genius bei Schopenhauer vgl. auch NK 505, 8-9.
N. selbst bezeichnet Schopenhauer in UB III SE als ,Genius' (KSA 1, 410,
12-13). Und im Hinblick auf Wagner betont N. bereits am 28. September 1869
in einem Brief an Carl von Gersdorff, „von welchem Werthe mir dieser Genius
ist: als die leibhafte Illustration, dessen, was Schopenhauer ein ,Genie' nennt"
(KSB 3, Nr. 32, S. 61). Zuvor erklärt er Erwin Rohde am 9. Dezember 1868 em-
phatisch: „Wagner, wie ich ihn jetzt kenne, aus seiner Musik, seinen Dichtun-
gen seiner Aesthetik, [...] aus jenem glücklichen Zusammensein mit ihm, ist
die leibhaftigste Illustration dessen, was Schopenhauer ein Genie nennt: ja die
Ähnlichkeit all der einzelnen Züge ist in die Augen springend" (KSB 2, Nr. 604,
S. 352). - Einsamkeit ist ein Grundmotiv in N.s Briefen und Werken. In Mensch-
liches, Allzumenschliches I findet sich bezeichnenderweise in einem Text mit
dem Titel „Von den Freunden" die Aussage: „wie vereinsamt ist jeder
Mensch!" (KSA 2, 263, 5). Und ein Gedicht in der Fröhlichen Wissenschaft trägt
den Titel „Der Einsame" (KSA 3, 360).
471, 7-12 Denn es sind die Zeugungs-Momente seiner Kunst, wenn er in diese
Kreuzung der Empfindungen gespannt ist, und sich jene unheimlich-übermüthige
Befremdung und Verwunderung über die Welt mit dem sehnsüchtigen Drange
paart, derselben Welt als Liebender zu nahen.] Auch hier (vgl. NK 470, 32 -
471, 4) sind Affinitäten zu den ambivalenten Empfindungen festzustellen, die
Wagner seinem Opern-Protagonisten Lohengrin zuschreibt (GSD IV, 295).
471, 25-27 so enthüllt die Natur, indem sie sich verstecken will,
das Wesen ihrer Gegensätze.] Anspielung auf Heraklits Lehre von den
Gegensätzen, die im verborgenen All-Einen der Natur aufgehoben sind. Vgl.
dazu NK 494, 2-5.
471, 32 - 472, 8 Das Wort folgt berauscht dem Zuge dieses Rhythmus'; mit dem
Worte gepaart ertönt die Melodie; und wiederum wirft die Melodie ihre Funken
weiter in das Reich der Bilder und Begriffe. Eine Traumerscheinung [...] schwebt
heran, sie verdichtet sich zu menschlicheren Gestalten, sie breitet sich aus zur
Abfolge eines ganzen heroisch-übermüthigen Wollens, eines wonnereichen Unter-
gehens und Nicht-mehr-Wollens: - so entsteht die Tragödie, so wird dem Leben
seine herrlichste Weisheit, die des tragischen Gedankens, geschenkt] Hier über-
trägt N. die Tragödientheorie, die er in der Geburt der Tragödie teilweise unter
Rekurs auf die Philosophie Schopenhauers entfaltet hat, auf das Musikdrama
 
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