488 Richard Wagner in Bayreuth
matischen Geschehens manifestieren. Insofern schließt N. hier an Schopen-
hauers Auffassung des Willens als des Urprinzips alles Seienden an (vgl. dazu
NK 478, 24-28).
In der Geburt der Tragödie sieht N. „die Fortentwickelung der Kunst an die
Duplicität des Apollinischen und des Dionysischen gebunden" (KSA 1,
25, 5-6). Nach seiner Auffassung ist „jeder Künstler [...] entweder apollinischer
Traumkünstler oder dionysischer Rauschkünstler" (KSA 1, 30, 29-31). In einem
weiten kulturhistorischen und geschichtsphilosophischen Kontext differenziert
N. „zwischen der Kunst des Bildners, der apollinischen, und der unbildlichen
Kunst der Musik, als der des Dionysus" (KSA 1, 25, 15-17). Den Ursprung der
griechischen Tragödie führt er spekulativ auf eine Synthese der beiden Kunst-
prinzipien zurück; in seiner eigenen Epoche erhofft er eine Renaissance der
griechischen Tragödie durch die Musikdramen Richard Wagners.
Dabei geht N. von der „metaphysischen" Prämisse aus, „dass das Wahr-
haft-Seiende und Ur-Eine, als das ewig Leidende und Widerspruchsvolle, zu-
gleich die entzückende Vision, den lustvollen Schein, zu seiner steten Erlösung
braucht" (KSA 1, 38, 29-32). Auch im Hinblick auf das Telos der Erlösung greift
er in der Geburt der Tragödie auf die Konzeption des Tragischen zurück, die
Schopenhauer in der Welt als Wille und Vorstellung entfaltet: Schopenhauer
schreibt dem Trauerspiel als literarischer Gattung einen Sonderstatus zu, weil
es den „Widerstreit des Willens mit sich selbst" am Leiden des Menschen be-
sonders intensiv entfalte und dadurch „der schrecklichen Seite des Lebens"
Ausdruck verleihe (WWV I, § 51, Hü 298). Indem die Tragödie Schmerz, Bosheit
und katastrophale Zufallskonstellationen inszeniere, veranschauliche sie den
Zuschauern, dass das Leben „wesentlich ein vielgestaltetes Leiden und ein
durchweg unsäliger Zustand ist", dem „gänzliches Nichtseyn [...] entschieden
vorzuziehn wäre" (WWV I, § 59, Hü 381, 383). So motiviert die Erfahrung des
Tragischen nach Schopenhauers Auffassung zur Verneinung des Willens zum
Leben und vermittelt zugleich zwischen Ästhetik und Ethik (zu diesem Span-
nungsfeld vgl. Neymeyr 1996a, 387-424).
Wenn N. den ,Willen' in der Geburt der Tragödie „im Schopenhauerischen
Sinne" definiert, nämlich „als Gegensatz der aesthetischen, rein beschaulichen
willenlosen Stimmung" (KSA 1, 50, 28-30), dann orientiert er sich sowohl an
der Willensphilosophie Schopenhauers als auch am Grundkonzept seiner Äs-
thetik. Auch die Definition des Willens als „das innere Wesen" (KSA 1, 111, 34 -
112, 1) und die Bestimmung der „Individuation" als „Urgrund alles Leidens"
(KSA 1, 72, 19-20) übernimmt N. aus Schopenhauers Willensmetaphysik (vgl.
dazu ebenfalls NK 478, 24-28), die den Hintergrund für den ästhetischen Dua-
lismus der Geburt der Tragödie bildet. Wie Schopenhauer differenziert N. zwi-
schen dem Willen als dem Urgrund alles Seienden und der durch das principi-
matischen Geschehens manifestieren. Insofern schließt N. hier an Schopen-
hauers Auffassung des Willens als des Urprinzips alles Seienden an (vgl. dazu
NK 478, 24-28).
In der Geburt der Tragödie sieht N. „die Fortentwickelung der Kunst an die
Duplicität des Apollinischen und des Dionysischen gebunden" (KSA 1,
25, 5-6). Nach seiner Auffassung ist „jeder Künstler [...] entweder apollinischer
Traumkünstler oder dionysischer Rauschkünstler" (KSA 1, 30, 29-31). In einem
weiten kulturhistorischen und geschichtsphilosophischen Kontext differenziert
N. „zwischen der Kunst des Bildners, der apollinischen, und der unbildlichen
Kunst der Musik, als der des Dionysus" (KSA 1, 25, 15-17). Den Ursprung der
griechischen Tragödie führt er spekulativ auf eine Synthese der beiden Kunst-
prinzipien zurück; in seiner eigenen Epoche erhofft er eine Renaissance der
griechischen Tragödie durch die Musikdramen Richard Wagners.
Dabei geht N. von der „metaphysischen" Prämisse aus, „dass das Wahr-
haft-Seiende und Ur-Eine, als das ewig Leidende und Widerspruchsvolle, zu-
gleich die entzückende Vision, den lustvollen Schein, zu seiner steten Erlösung
braucht" (KSA 1, 38, 29-32). Auch im Hinblick auf das Telos der Erlösung greift
er in der Geburt der Tragödie auf die Konzeption des Tragischen zurück, die
Schopenhauer in der Welt als Wille und Vorstellung entfaltet: Schopenhauer
schreibt dem Trauerspiel als literarischer Gattung einen Sonderstatus zu, weil
es den „Widerstreit des Willens mit sich selbst" am Leiden des Menschen be-
sonders intensiv entfalte und dadurch „der schrecklichen Seite des Lebens"
Ausdruck verleihe (WWV I, § 51, Hü 298). Indem die Tragödie Schmerz, Bosheit
und katastrophale Zufallskonstellationen inszeniere, veranschauliche sie den
Zuschauern, dass das Leben „wesentlich ein vielgestaltetes Leiden und ein
durchweg unsäliger Zustand ist", dem „gänzliches Nichtseyn [...] entschieden
vorzuziehn wäre" (WWV I, § 59, Hü 381, 383). So motiviert die Erfahrung des
Tragischen nach Schopenhauers Auffassung zur Verneinung des Willens zum
Leben und vermittelt zugleich zwischen Ästhetik und Ethik (zu diesem Span-
nungsfeld vgl. Neymeyr 1996a, 387-424).
Wenn N. den ,Willen' in der Geburt der Tragödie „im Schopenhauerischen
Sinne" definiert, nämlich „als Gegensatz der aesthetischen, rein beschaulichen
willenlosen Stimmung" (KSA 1, 50, 28-30), dann orientiert er sich sowohl an
der Willensphilosophie Schopenhauers als auch am Grundkonzept seiner Äs-
thetik. Auch die Definition des Willens als „das innere Wesen" (KSA 1, 111, 34 -
112, 1) und die Bestimmung der „Individuation" als „Urgrund alles Leidens"
(KSA 1, 72, 19-20) übernimmt N. aus Schopenhauers Willensmetaphysik (vgl.
dazu ebenfalls NK 478, 24-28), die den Hintergrund für den ästhetischen Dua-
lismus der Geburt der Tragödie bildet. Wie Schopenhauer differenziert N. zwi-
schen dem Willen als dem Urgrund alles Seienden und der durch das principi-