494 Richard Wagner in Bayreuth
der ,Läuterung' überwunden habe (482-483), sobald er konsequent der inne-
ren künstlerischen Notwendigkeit gefolgt sei, statt seine Wirkungsmittel pri-
mär zugunsten von äußerlichen „Erfolgen" und „Siegen" (483, 16) beim Publi-
kum zu kalkulieren.
Zwar attestiert N. Wagner selbst in UB IV WB „eine glühende Hoffnung auf
höchste Macht und Wirkung" (473, 26-27), aber zugleich weist er auf die sich
bereits ankündigende ästhetische Neuorientierung des Komponisten hin, in-
dem er erklärt: „Indem er zum Kritiker des ,Effectes' wurde, durchzitterten ihn
die Ahnungen einer eigenen Läuterung" (474, 19-20). Erst im Spätwerk erhält
der Vorwurf der Effekthascherei dann eine zentrale Funktion im Rahmen von
N.s radikaler Polemik gegen Wagner, den er in seiner Schrift Der Fall Wagner
so charakterisiert: „Das espressivo um jeden Preis, wie es das Wagnerische
Ideal, das decadence-Ideal verlangt, verträgt sich schlecht mit Begabung"
(KSA 6, 38, 33 - 39, 1). Außerdem spricht N. dem Komponisten sogar ein „Musi-
ker-Gewissen" ab und wirft ihm einen geradezu obsessiven Wirkungswillen
vor: „er will Nichts als die Wirkung. Und er kennt das, worauf er zu wirken
hat!" (KSA 6, 31, 4-6). In diesem Sinne sieht N. seine Ansicht „Wagner war
nicht Musiker von Instinkt" dadurch bestätigt, dass Wagner „alle Gesetzlich-
keit und [...] allen Stil in der Musik preisgab, um aus ihr zu machen, was er
nöthig hatte, eine Theater-Rhetorik" (KSA 6, 30, 15-18). „Auch im Entwerfen
der Handlung" sei „Wagner vor Allem Schauspieler" gewesen, weil es ihm zu-
erst um „eine Scene von unbedingt sichrer Wirkung" gegangen sei, um „eine
Scene, die umwirft" (KSA 6, 32, 8-11).
Und im Text 368 der Fröhlichen Wissenschaft kritisiert N. eine symptomati-
sche Inkonsequenz in Wagners Musikästhetik: „wenn es Wagner's Theorie ge-
wesen ist ,das Drama ist der Zweck, die Musik ist immer nur dessen Mittel', -
seine Praxis dagegen war, von Anfang bis zu Ende, ,die Attitüde ist der
Zweck, das Drama, auch die Musik ist immer nur ihr Mittel'. Die Musik als
Mittel zur Verdeutlichung, Verstärkung, Verinnerlichung der dramatischen Ge-
bärde und Schauspieler-Sinnenfälligkeit; und das Wagnerische Drama nur eine
Gelegenheit zu vielen dramatischen Attitüden!" (KSA 3, 617, 23-30). In diesem
Sinne konstatiert N. später in Der Fall Wagner: „er blieb Rhetor als Musiker"
(KSA 6, 35, 30). - Zu dem fundamentalen musikästhetischen Paradigmenwech-
sel, den Wagner unter dem Einfluss seiner Schopenhauer-Lektüre vollzog, vgl.
Kapitel IV.3 im Überblickskommentar sowie NK 454, 11-14. - Noch in der Fröhli-
chen Wissenschaft formuliert N. im Text 99 eine viel moderatere Perspektive auf
Wagner wie auf die Künstler überhaupt: Verständnisvoll konzediert er, dass sie
immer „ein wenig Schauspieler sind und sein müssen", so dass man ihnen
auch „Maskerade" nicht übelnehmen dürfe (KSA 3, 456, 24-26). Zudem sei
Wagners schauspielerhafte Attitüde durchaus mit Aspekten von Authentizität
der ,Läuterung' überwunden habe (482-483), sobald er konsequent der inne-
ren künstlerischen Notwendigkeit gefolgt sei, statt seine Wirkungsmittel pri-
mär zugunsten von äußerlichen „Erfolgen" und „Siegen" (483, 16) beim Publi-
kum zu kalkulieren.
Zwar attestiert N. Wagner selbst in UB IV WB „eine glühende Hoffnung auf
höchste Macht und Wirkung" (473, 26-27), aber zugleich weist er auf die sich
bereits ankündigende ästhetische Neuorientierung des Komponisten hin, in-
dem er erklärt: „Indem er zum Kritiker des ,Effectes' wurde, durchzitterten ihn
die Ahnungen einer eigenen Läuterung" (474, 19-20). Erst im Spätwerk erhält
der Vorwurf der Effekthascherei dann eine zentrale Funktion im Rahmen von
N.s radikaler Polemik gegen Wagner, den er in seiner Schrift Der Fall Wagner
so charakterisiert: „Das espressivo um jeden Preis, wie es das Wagnerische
Ideal, das decadence-Ideal verlangt, verträgt sich schlecht mit Begabung"
(KSA 6, 38, 33 - 39, 1). Außerdem spricht N. dem Komponisten sogar ein „Musi-
ker-Gewissen" ab und wirft ihm einen geradezu obsessiven Wirkungswillen
vor: „er will Nichts als die Wirkung. Und er kennt das, worauf er zu wirken
hat!" (KSA 6, 31, 4-6). In diesem Sinne sieht N. seine Ansicht „Wagner war
nicht Musiker von Instinkt" dadurch bestätigt, dass Wagner „alle Gesetzlich-
keit und [...] allen Stil in der Musik preisgab, um aus ihr zu machen, was er
nöthig hatte, eine Theater-Rhetorik" (KSA 6, 30, 15-18). „Auch im Entwerfen
der Handlung" sei „Wagner vor Allem Schauspieler" gewesen, weil es ihm zu-
erst um „eine Scene von unbedingt sichrer Wirkung" gegangen sei, um „eine
Scene, die umwirft" (KSA 6, 32, 8-11).
Und im Text 368 der Fröhlichen Wissenschaft kritisiert N. eine symptomati-
sche Inkonsequenz in Wagners Musikästhetik: „wenn es Wagner's Theorie ge-
wesen ist ,das Drama ist der Zweck, die Musik ist immer nur dessen Mittel', -
seine Praxis dagegen war, von Anfang bis zu Ende, ,die Attitüde ist der
Zweck, das Drama, auch die Musik ist immer nur ihr Mittel'. Die Musik als
Mittel zur Verdeutlichung, Verstärkung, Verinnerlichung der dramatischen Ge-
bärde und Schauspieler-Sinnenfälligkeit; und das Wagnerische Drama nur eine
Gelegenheit zu vielen dramatischen Attitüden!" (KSA 3, 617, 23-30). In diesem
Sinne konstatiert N. später in Der Fall Wagner: „er blieb Rhetor als Musiker"
(KSA 6, 35, 30). - Zu dem fundamentalen musikästhetischen Paradigmenwech-
sel, den Wagner unter dem Einfluss seiner Schopenhauer-Lektüre vollzog, vgl.
Kapitel IV.3 im Überblickskommentar sowie NK 454, 11-14. - Noch in der Fröhli-
chen Wissenschaft formuliert N. im Text 99 eine viel moderatere Perspektive auf
Wagner wie auf die Künstler überhaupt: Verständnisvoll konzediert er, dass sie
immer „ein wenig Schauspieler sind und sein müssen", so dass man ihnen
auch „Maskerade" nicht übelnehmen dürfe (KSA 3, 456, 24-26). Zudem sei
Wagners schauspielerhafte Attitüde durchaus mit Aspekten von Authentizität