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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0526
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Stellenkommentar UB IV WB 8, KSA 1, S. 475-476 499

Welten-Schicksals in's Grosse umdeuten - sehr verschieden von den Griechen,
welche in ihrer Kunst das Aus- und Ueberströmen ihres eigenen Wohl- und
Gesundseins empfanden und es liebten, ihre Vollkommenheit noch einmal
äusser sich zu sehen: - sie führte der Selbstgenuss zur Kunst, diese unsere
Zeitgenossen - der Selbstverdruss" (KSA 2, 447, 24-33). Zentrale Bedeutung hat
die Langeweile im Rahmen von Schopenhauers Willensmetaphysik, auf die N.
in den Unzeitgemässen Betrachtungen wiederholt zurückgreift. Vgl. dazu
NK 256, 18-26 und NK 373, 32-34 sowie NK 379, 32-34 und NK 397, 24.
476, 8-9 er war aus Mitleid mit dem Volke zum Revolutionär geworden] Kurz
zuvor rekurriert N. auf die revolutionäre Phase in Wagners Leben, indem er
ihn als „Revolutionär der Gesellschaft" bezeichnet (475, 10-11). Vgl.
auch NK 475, 10-11. Im Jahre 1849 hatte sich Richard Wagner am Dresdener
Mai-Aufstand beteiligt. Damals verfasste er auch seine Schrift Die Kunst und
die Revolution (1849). In seiner biographischen Reflexion Eine Mittheilung an
meine Freunde erläutert Wagner, inwiefern sein Nachdenken über umfassende
Veränderungen der Theatersituation mit der Einsicht in die soziopolitische Pro-
blematik zusammenhing (vgl. GSD IV, 308-334). Vgl. Details dazu in NK 478,
13-18. Zum Spannungsverhältnis zwischen Revolution und Reformation bei
Wagner vgl. NK 448, 4-10. - Wagners revolutionäres Engagement wurde je-
doch von einer konservativeren Haltung abgelöst, als er sich später auf sein
Bayreuth-Projekt konzentrierte und sich bei dessen Verwirklichung durch Lud-
wig II. von Bayern als Mäzen unterstützen ließ. Zur Thematik der Revolution
vgl. auch NK 448, 4-10; 451, 14-18; 475, 10-11; 504, 18-21; 504, 27-30; 508, 29-
33.
476, 11-15 nur in ihm, nur im entschwundenen, kaum mehr zu ahnenden, künst-
lich entrückten Volke sah er jetzt den einzigen Zuschauer und Zuhörer, welcher
der Macht seines Kunstwerkes, wie er es sich träumte, würdig und gewachsen
sein möchte] Richard Wagner äußert sich in Wibelingen oder Wibelungen fol-
gendermaßen über das Volk: „Religion und Sage sind die ergebnißreichen
Gestaltungen der Volksanschauung vom Wesen der Dinge und Menschen. Das
Volk hat von jeher die unnachahmliche Befähigung gehabt, sein eigenes We-
sen nach dem Gattungsbegriffe zu erfassen und in plastischer Personifizirung
deutlich sich vorzustellen. Die Götter und Helden seiner Religion und Sage
sind die sinnlich erkennbaren Persönlichkeiten, in welchen der Volksgeist sich
sein Wesen darstellt: bei der treffenden Individualität dieser Persönlichkeiten
ist ihr Inhalt dennoch von allgemeinster, umfassendster Art, und verleiht eben
deßhalb diesen Gestalten eine ungemein andauernde Lebensfähigkeit, weil
jede neue Richtung des Volkswesens sich unmerklich auch ihnen mitzutheilen
vermag, sie daher diesem Wesen immer zu entsprechen im Stande sind. Das
 
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