500 Richard Wagner in Bayreuth
Volk ist somit in seinem Dichten und Schaffen durchaus genial und wahrhaf-
tig, wogegen der gelehrte Geschichtsschreiber, der sich nur an die pragmati-
sche Oberfläche der Vorfallenheiten hält, ohne das Band der wesenhaften
Volksallgemeinheit nach dem unmittelbaren Ausdrucke desselben zu erfassen,
pedantisch unwahrhaftig ist, weil er den Gegenstand seiner eigenen Arbeit
selbst nicht mit Geist und Herz zu verstehen vermag und daher, ohne es zu
wissen, zu willkürlicher, subjektiver Spekulation hingetrieben wird. Nur das
Volk versteht sich selbst, weil es selbst täglich und stündlich das in Wahrheit
thut und vollbringt, was es seinem Wesen nach kann und soll, während der
gelehrte Schulmeister des Volkes sich vergeblich den Kopf zerbricht, um das,
was das Volk eben ganz von selbst thut, zu begreifen" (GSD II, 123). - N. kenn-
zeichnet Wagners Vorstellung vom Volk allerdings als romantische Verklärung,
indem er hier ausdrücklich vom „entschwundenen, kaum mehr zu ahnenden,
künstlich entrückten Volke" spricht.
476, 15-18 So sammelte sich sein Nachdenken um die Frage: Wie entsteht das
Volk? Wie ersteht es wieder?. I Er fand immer nur eine Antwort: - wenn eine
Vielheit dieselbe Noth litte, wie er sie leidet, Das wäre das Volk, sagte er sich.]
In UB IV WB bezieht sich N. auf Wagners Schrift Das Kunstwerk der Zukunft,
partiell auch auf seinen Text Die Kunst und die Revolution. Dabei übernimmt
er die Definition des ,Volkes' fast wörtlich von Wagner, der in seiner Schrift
Das Kunstwerk der Zukunft erklärt: „Wer ist das Volk? [...] Das Volk ist der
Inbegriff aller Derjenigen, welche eine gemeinschaftliche Noth
empfinden. Zu ihm gehören daher alle Diejenigen, welche ihre eigene Noth
als eine gemeinschaftliche erkennen, oder sie in einer gemeinschaftlichen be-
gründet finden; somit alle Diejenigen, welche die Stillung ihrer Noth nur in
der Stillung einer gemeinsamen Noth" erhoffen können (GSD III, 47-48). Die
Gemeinschaftsidee hatte für Wagner große Bedeutung. Nach einem schon
längst etablierten Muster stilisierte er die griechische Polis zum Gegenbild der
modernen Gesellschaft.
477, 6-7 die Musik hatte sich unter den Armen und Schlichten, unter den Einsa-
men erhalten] Im Vorwort zur Gesammtherausgabe äußert sich Wagner 1871 zur
Kunst des Volkes: „Denn sie wird uns die Gesetze für eine wahrhafte Kunst
überhaupt erst wieder geben. So ist es bestimmt, und Jeder muß dieß mit mir
erkennen, sobald er die einzig lebenvoll unter uns jetzt wirkende Musik und
ihre Macht auf alle Gemüther mit dem Wirken unsrer heutigen Litteraturpoesie,
ja einer bildenden Kunst vergleicht, die nur noch nach fremden Schemen mit
unsrem so tief gesunkenen modernen Leben verkehren kann. In dem von der
Musik verklärten Drama wird aber einst das Volk sich und jede Kunst veredelt
und verschönert wiederfinden" (GSD I, 7). Vgl. auch NK 476, 11-15 sowie
NK 476, 17-18 und NK 478, 13-18.
Volk ist somit in seinem Dichten und Schaffen durchaus genial und wahrhaf-
tig, wogegen der gelehrte Geschichtsschreiber, der sich nur an die pragmati-
sche Oberfläche der Vorfallenheiten hält, ohne das Band der wesenhaften
Volksallgemeinheit nach dem unmittelbaren Ausdrucke desselben zu erfassen,
pedantisch unwahrhaftig ist, weil er den Gegenstand seiner eigenen Arbeit
selbst nicht mit Geist und Herz zu verstehen vermag und daher, ohne es zu
wissen, zu willkürlicher, subjektiver Spekulation hingetrieben wird. Nur das
Volk versteht sich selbst, weil es selbst täglich und stündlich das in Wahrheit
thut und vollbringt, was es seinem Wesen nach kann und soll, während der
gelehrte Schulmeister des Volkes sich vergeblich den Kopf zerbricht, um das,
was das Volk eben ganz von selbst thut, zu begreifen" (GSD II, 123). - N. kenn-
zeichnet Wagners Vorstellung vom Volk allerdings als romantische Verklärung,
indem er hier ausdrücklich vom „entschwundenen, kaum mehr zu ahnenden,
künstlich entrückten Volke" spricht.
476, 15-18 So sammelte sich sein Nachdenken um die Frage: Wie entsteht das
Volk? Wie ersteht es wieder?. I Er fand immer nur eine Antwort: - wenn eine
Vielheit dieselbe Noth litte, wie er sie leidet, Das wäre das Volk, sagte er sich.]
In UB IV WB bezieht sich N. auf Wagners Schrift Das Kunstwerk der Zukunft,
partiell auch auf seinen Text Die Kunst und die Revolution. Dabei übernimmt
er die Definition des ,Volkes' fast wörtlich von Wagner, der in seiner Schrift
Das Kunstwerk der Zukunft erklärt: „Wer ist das Volk? [...] Das Volk ist der
Inbegriff aller Derjenigen, welche eine gemeinschaftliche Noth
empfinden. Zu ihm gehören daher alle Diejenigen, welche ihre eigene Noth
als eine gemeinschaftliche erkennen, oder sie in einer gemeinschaftlichen be-
gründet finden; somit alle Diejenigen, welche die Stillung ihrer Noth nur in
der Stillung einer gemeinsamen Noth" erhoffen können (GSD III, 47-48). Die
Gemeinschaftsidee hatte für Wagner große Bedeutung. Nach einem schon
längst etablierten Muster stilisierte er die griechische Polis zum Gegenbild der
modernen Gesellschaft.
477, 6-7 die Musik hatte sich unter den Armen und Schlichten, unter den Einsa-
men erhalten] Im Vorwort zur Gesammtherausgabe äußert sich Wagner 1871 zur
Kunst des Volkes: „Denn sie wird uns die Gesetze für eine wahrhafte Kunst
überhaupt erst wieder geben. So ist es bestimmt, und Jeder muß dieß mit mir
erkennen, sobald er die einzig lebenvoll unter uns jetzt wirkende Musik und
ihre Macht auf alle Gemüther mit dem Wirken unsrer heutigen Litteraturpoesie,
ja einer bildenden Kunst vergleicht, die nur noch nach fremden Schemen mit
unsrem so tief gesunkenen modernen Leben verkehren kann. In dem von der
Musik verklärten Drama wird aber einst das Volk sich und jede Kunst veredelt
und verschönert wiederfinden" (GSD I, 7). Vgl. auch NK 476, 11-15 sowie
NK 476, 17-18 und NK 478, 13-18.