Stellenkommentar UB IV WB 8, KSA 1, S. 478 503
das wahre Sein lag mir außer ihrer Gesetzmäßigkeit" (GSD VI, 259). N. notiert
in einer Text-Vorstufe: „Die Kunst wird zur Religion: Der Revolutionär resig-
nirt" (KSA 14, 92). In einem nachgelassenen Notat, das Wagner und seine Ge-
fährdungen charakterisiert, macht N. 1875 ausdrücklich „die Religion der
Musik" zum Thema, die „um sein ganzes Wesen" liege (NL 1875, 11 [6], KSA 8,
192).
478, 24-28 [...] er hofft nicht mehr: so steigt sein Weltblick in die Tiefe, noch-
mals, und jetzt hinab bis zum Grunde: dort sieht er das Leiden im Wesen der
Dinge und nimmt von jetzt ab, gleichsam unpersönlicher geworden, seinen Theil
von Leiden stiller hin] Den neuen „Abschnitt im Leben" Wagners (478, 20) nach
dem Scheitern der revolutionären Hoffnungen, die ihn 1849 zur Teilnahme am
Dresdener Mai-Aufstand motiviert hatten, sieht N. in Wagners Hinwendung zu
einem „Weltblick" begründet, der ihn dann dazu befähigt habe, das „Leiden
im Wesen der Dinge" zu erkennen. Implizit eröffnet N. mit dieser Darstellung
von Wagners Neuorientierung den gedanklichen Horizont der pessimistischen
Willensmetaphysik Schopenhauers, der in der Welt als Wille und Vorstellung
den Urgrund der Welt als „Willen" beschreibt und diesen existentiell in einen
leidensvollen Prozess involviert sieht. - In Schopenhauers Philosophie erhält
die Thematik des Leidens und seiner Überwindung eine fundamentale Bedeu-
tung. Nach Schopenhauers Überzeugung ermöglicht eine Haltung der ,Resig-
nation' die Verneinung des Willens zum Leben' und dadurch ein Ethos der
Gelassenheit und des inneren Friedens, in dem das Leiden des permanent
durch Bedürfnisse gequälten Willens aufgehoben ist. - N.s Wagner-Darstellung
lässt deutliche Analogien zur Welt als Wille und Vorstellung erkennen: Hier be-
zeichnet Schopenhauer denjenigen als „in ethischer Hinsicht genial", der von
seinen individuellen Erfahrungen zu abstrahieren vermag, indem er „sein eige-
nes Leiden nur als Beispiel des Ganzen betrachtet", dieses „als wesentliches
Leiden" begreift und so „zur Resignation" gelangt (WWV I, § 68, Hü 468).
Den Willen charakterisiert Schopenhauer als das „den Kern und das An-
sich jedes Dinges ausmachende Streben" (WWV I, § 56, Hü 365). Und „alles
Streben entspringt aus Mangel, aus Unzufriedenheit mit seinem Zustande, ist
also Leiden, so lange es nicht befriedigt ist; keine Befriedigung aber ist dau-
ernd, vielmehr ist sie stets nur der Anfangspunkt eines neuen Strebens. Das
Streben sehn wir überall vielfach gehemmt, überall kämpfend; so lange also
immer als Leiden: kein letztes Ziel des Strebens, also kein Maaß und Ziel des
Leidens" (WWV I, § 56, Hü 365). Da das Menschenleben „keiner wahren Glück-
säligkeit fähig, sondern wesentlich ein vielgestaltetes Leiden" ist (WWV I, § 59,
Hü 381), geht Schopenhauer davon aus, dass dieser conditio humana „gänzli-
ches Nichtseyn [...] entschieden vorzuziehn wäre" (WWV I, § 59, Hü 383). Die
Problematik, „daß dieser Existenz selbst das Leiden wesentlich und wahre Be-
das wahre Sein lag mir außer ihrer Gesetzmäßigkeit" (GSD VI, 259). N. notiert
in einer Text-Vorstufe: „Die Kunst wird zur Religion: Der Revolutionär resig-
nirt" (KSA 14, 92). In einem nachgelassenen Notat, das Wagner und seine Ge-
fährdungen charakterisiert, macht N. 1875 ausdrücklich „die Religion der
Musik" zum Thema, die „um sein ganzes Wesen" liege (NL 1875, 11 [6], KSA 8,
192).
478, 24-28 [...] er hofft nicht mehr: so steigt sein Weltblick in die Tiefe, noch-
mals, und jetzt hinab bis zum Grunde: dort sieht er das Leiden im Wesen der
Dinge und nimmt von jetzt ab, gleichsam unpersönlicher geworden, seinen Theil
von Leiden stiller hin] Den neuen „Abschnitt im Leben" Wagners (478, 20) nach
dem Scheitern der revolutionären Hoffnungen, die ihn 1849 zur Teilnahme am
Dresdener Mai-Aufstand motiviert hatten, sieht N. in Wagners Hinwendung zu
einem „Weltblick" begründet, der ihn dann dazu befähigt habe, das „Leiden
im Wesen der Dinge" zu erkennen. Implizit eröffnet N. mit dieser Darstellung
von Wagners Neuorientierung den gedanklichen Horizont der pessimistischen
Willensmetaphysik Schopenhauers, der in der Welt als Wille und Vorstellung
den Urgrund der Welt als „Willen" beschreibt und diesen existentiell in einen
leidensvollen Prozess involviert sieht. - In Schopenhauers Philosophie erhält
die Thematik des Leidens und seiner Überwindung eine fundamentale Bedeu-
tung. Nach Schopenhauers Überzeugung ermöglicht eine Haltung der ,Resig-
nation' die Verneinung des Willens zum Leben' und dadurch ein Ethos der
Gelassenheit und des inneren Friedens, in dem das Leiden des permanent
durch Bedürfnisse gequälten Willens aufgehoben ist. - N.s Wagner-Darstellung
lässt deutliche Analogien zur Welt als Wille und Vorstellung erkennen: Hier be-
zeichnet Schopenhauer denjenigen als „in ethischer Hinsicht genial", der von
seinen individuellen Erfahrungen zu abstrahieren vermag, indem er „sein eige-
nes Leiden nur als Beispiel des Ganzen betrachtet", dieses „als wesentliches
Leiden" begreift und so „zur Resignation" gelangt (WWV I, § 68, Hü 468).
Den Willen charakterisiert Schopenhauer als das „den Kern und das An-
sich jedes Dinges ausmachende Streben" (WWV I, § 56, Hü 365). Und „alles
Streben entspringt aus Mangel, aus Unzufriedenheit mit seinem Zustande, ist
also Leiden, so lange es nicht befriedigt ist; keine Befriedigung aber ist dau-
ernd, vielmehr ist sie stets nur der Anfangspunkt eines neuen Strebens. Das
Streben sehn wir überall vielfach gehemmt, überall kämpfend; so lange also
immer als Leiden: kein letztes Ziel des Strebens, also kein Maaß und Ziel des
Leidens" (WWV I, § 56, Hü 365). Da das Menschenleben „keiner wahren Glück-
säligkeit fähig, sondern wesentlich ein vielgestaltetes Leiden" ist (WWV I, § 59,
Hü 381), geht Schopenhauer davon aus, dass dieser conditio humana „gänzli-
ches Nichtseyn [...] entschieden vorzuziehn wäre" (WWV I, § 59, Hü 383). Die
Problematik, „daß dieser Existenz selbst das Leiden wesentlich und wahre Be-