504 Richard Wagner in Bayreuth
friedigung unmöglich sei", erläutert er folgendermaßen: „unermüdlich streben
wir von Wunsch zu Wunsch, und wenn gleich jede erlangte Befriedigung, so-
viel sie auch verhieß, uns doch nicht befriedigt, sondern meistens bald als
beschämender Irrthum dasteht, sehn wir doch nicht ein, daß wir mit dem Faß
der Danaiden schöpfen; sondern eilen zu immer neuen Wünschen" (WWV I,
§ 57, Hü 375-376).
Dass diese Leidenssituation gemäß Schopenhauers Konzeption allerdings
keineswegs auf den Bereich des Menschen beschränkt bleibt, sondern gerade-
zu universelle Geltung hat, wird evident, wenn er das „Leiden der Menschheit"
in den größeren Kontext von leidenden Willensobjektivationen auf unter-
schiedlichen Existenzstufen stellt. Dass „in der Natur überall Streit, Kampf und
Wechsel des Sieges" herrscht, führt Schopenhauer im metaphysischen Hori-
zont seiner Philosophie auf „die dem Willen wesentliche Entzweiung mit sich
selbst" zurück: „Jede Objektivation des Willens macht der andern die Materie,
den Raum, die Zeit streitig" (WWV I, § 27, Hü 174). Laut Schopenhauer wird
„dieser allgemeine Kampf in der Thierwelt" evident, „indem jedes Thier sein
Daseyn nur durch die beständige Aufhebung eines fremden erhalten kann; so
daß der Wille zum Leben durchgängig an sich selber zehrt und in verschiede-
nen Gestalten seine eigene Nahrung ist, bis zuletzt das Menschengeschlecht
[...] in sich selbst jenen Kampf, jene Selbstentzweiung des Willens, zur furcht-
barsten Deutlichkeit offenbart, und homo homini lupus wird" (WWV I, § 27,
Hü 175). Zum Hobbes-Kontext vgl. NK 1/2, 159-162. Das existentielle Leiden
führt Schopenhauer auf die metaphysische Prämisse zurück, „daß der Wille an
sich selber zehren muß, weil außer ihm nichts daist und er ein hungriger Wille
ist. Daher die Jagd, die Angst und das Leiden" (WWV I, § 28, Hü 183).
Möglichkeiten zur Überwindung der existentiellen Leidenssituation kann
nach Schopenhauers Auffassung die Einsicht in das Wesen der Welt und des
Lebens eröffnen: Seiner Konzeption zufolge erreicht in einzelnen Individuen
„diese Erkenntniß, geläutert und gesteigert durch das Leiden selbst, den
Punkt", an dem „das principium individuationis [...] durchschaut wird, der auf
diesem beruhende Egoismus eben damit erstirbt" und „die vollkommene Er-
kenntniß des Wesens der Welt, als Quietiv des Willens wirkend, die Resigna-
tion herbeiführt, das Aufgeben, nicht bloß des Lebens, sondern des ganzen
Willens zum Leben selbst" (WWV I, § 51, Hü 299).
Affinitäten zu diesem Ethos weist auch die von N. beschriebene Neuorien-
tierung Wagners auf. Denn laut N. lässt auch Wagners Leidensintensität durch
jenen „Weltblick in die Tiefe" nach, durch den er „das Leiden im Wesen der
Dinge" zu erkennen vermag (478, 25-27). Allerdings dominiert im vorliegenden
Kontext (478, 19-33) nicht die vollkommene Resignation im Sinne jener Vernei-
nung des Willens zum Leben, die Schopenhauers Ethik bestimmt, sondern eine
friedigung unmöglich sei", erläutert er folgendermaßen: „unermüdlich streben
wir von Wunsch zu Wunsch, und wenn gleich jede erlangte Befriedigung, so-
viel sie auch verhieß, uns doch nicht befriedigt, sondern meistens bald als
beschämender Irrthum dasteht, sehn wir doch nicht ein, daß wir mit dem Faß
der Danaiden schöpfen; sondern eilen zu immer neuen Wünschen" (WWV I,
§ 57, Hü 375-376).
Dass diese Leidenssituation gemäß Schopenhauers Konzeption allerdings
keineswegs auf den Bereich des Menschen beschränkt bleibt, sondern gerade-
zu universelle Geltung hat, wird evident, wenn er das „Leiden der Menschheit"
in den größeren Kontext von leidenden Willensobjektivationen auf unter-
schiedlichen Existenzstufen stellt. Dass „in der Natur überall Streit, Kampf und
Wechsel des Sieges" herrscht, führt Schopenhauer im metaphysischen Hori-
zont seiner Philosophie auf „die dem Willen wesentliche Entzweiung mit sich
selbst" zurück: „Jede Objektivation des Willens macht der andern die Materie,
den Raum, die Zeit streitig" (WWV I, § 27, Hü 174). Laut Schopenhauer wird
„dieser allgemeine Kampf in der Thierwelt" evident, „indem jedes Thier sein
Daseyn nur durch die beständige Aufhebung eines fremden erhalten kann; so
daß der Wille zum Leben durchgängig an sich selber zehrt und in verschiede-
nen Gestalten seine eigene Nahrung ist, bis zuletzt das Menschengeschlecht
[...] in sich selbst jenen Kampf, jene Selbstentzweiung des Willens, zur furcht-
barsten Deutlichkeit offenbart, und homo homini lupus wird" (WWV I, § 27,
Hü 175). Zum Hobbes-Kontext vgl. NK 1/2, 159-162. Das existentielle Leiden
führt Schopenhauer auf die metaphysische Prämisse zurück, „daß der Wille an
sich selber zehren muß, weil außer ihm nichts daist und er ein hungriger Wille
ist. Daher die Jagd, die Angst und das Leiden" (WWV I, § 28, Hü 183).
Möglichkeiten zur Überwindung der existentiellen Leidenssituation kann
nach Schopenhauers Auffassung die Einsicht in das Wesen der Welt und des
Lebens eröffnen: Seiner Konzeption zufolge erreicht in einzelnen Individuen
„diese Erkenntniß, geläutert und gesteigert durch das Leiden selbst, den
Punkt", an dem „das principium individuationis [...] durchschaut wird, der auf
diesem beruhende Egoismus eben damit erstirbt" und „die vollkommene Er-
kenntniß des Wesens der Welt, als Quietiv des Willens wirkend, die Resigna-
tion herbeiführt, das Aufgeben, nicht bloß des Lebens, sondern des ganzen
Willens zum Leben selbst" (WWV I, § 51, Hü 299).
Affinitäten zu diesem Ethos weist auch die von N. beschriebene Neuorien-
tierung Wagners auf. Denn laut N. lässt auch Wagners Leidensintensität durch
jenen „Weltblick in die Tiefe" nach, durch den er „das Leiden im Wesen der
Dinge" zu erkennen vermag (478, 25-27). Allerdings dominiert im vorliegenden
Kontext (478, 19-33) nicht die vollkommene Resignation im Sinne jener Vernei-
nung des Willens zum Leben, die Schopenhauers Ethik bestimmt, sondern eine