Stellenkommentar UB IV WB 8, KSA 1, S. 478-479 505
Art von ästhetischer Sublimierung des Leidens. So erklärt sich die anschließen-
de Aussage über Wagner: „Das Begehren nach höchster Macht, das Erbgut frü-
herer Zustände, tritt ganz in's künstlerische Schaffen über" (478, 28-30).
478, 30-33 er spricht durch seine Kunst nur noch mit sich, nicht mehr mit einem
Publicum oder Volke und ringt darnach, ihr die grösste Deutlichkeit und Befähi-
gung für ein solches mächtigstes Zwiegespräch zu geben] An früherer Stelle von
UB IV WB betont N. mit Bezug auf Wagners Konzept eines gattungsübergrei-
fenden Gesamtkunstwerks die Absicht der „gewaltigste[n] Musiker-Natur",
über die Musik hinaus „den Zugang zu den anderen Künsten" zu öffnen, „um
so endlich mit hundertfacher Deutlichkeit sich mitzutheilen und sich Verständ-
niss [...] zu erzwingen" (468, 3-7). Und in einer späteren Passage der Schrift
spricht N. von „der höchsten Deutlichkeit", mit der sich „das innere, eigenste
Erlebniss" Wagners in seinen Werken offenbare (485, 5). - Der Anspruch auf
„Deutlichkeit" gehört zu den zentralen Motiven in Richard Wagners theoreti-
schen Schriften. N. orientiert sich an der Selbstdarstellung Wagners, der in
seinem Text Eine Mittheilung an meine Freunde (1851) seine Absicht formuliert,
„das von mir Erschaute so deutlich und verständlich wie möglich der Anschau-
ung Anderer mitzutheilen [...]. Höchste Deutlichkeit war in der Ausführung so-
mit mein Hauptbestreben, und zwar eben nicht die oberflächliche Deutlichkeit,
mit der sich uns ein seichter Gegenstand mittheilt, sondern die unendlich rei-
che und mannigfaltige, in der sich einzig ein umfassender, weithin bezie-
hungsvoller Inhalt verständlich darstellt [...]" (GSD IV, 300).
479, 12-14 er wollte jetzt nur noch Eins: sich mit sich verständigen, über das
Wesen der Welt in Vorgängen denken, in Tönen philosophiren] An die Stelle der
begrifflich-abstrakten theoretischen Sphäre rückt hier die intuitive, auf die Es-
senz zielende Kunst. Für N. hat die Auseinandersetzung mit der Relation zwi-
schen dem Künstler und dem Philosophen zentrale Bedeutung. Da der Künstler
Anschauung ohne begriffliche Vermittlung zum Ausdruck bringen kann, der
Denker seine Theorien jedoch im Medium abstrakter Begrifflichkeit artikulieren
muss, spricht N. in seiner von der Kunstmetaphysik dominierten Frühphase
dem Künstler den Primat zu. Später notiert N. allerdings: „Der Philosoph die
höhere Species, aber viel mißrathener bisher. Der Künstler die niedere, aber
viel schöner und reicher entwickelt!" (NL 1884, 26 [238], KSA 11, 211). Sich
selbst sah N. als eine Synthese aus dem Typus des Künstlers und des Philoso-
phen. Produktive Wechselwirkungen können zustande kommen, wenn philo-
sophische Ideen künstlerische Prozesse evozieren oder wenn die Kunst als Me-
dium philosophischer Gedanken fungiert.
Mit der Vorstellung, Wagner wolle „über das Wesen der Welt [...] in Tönen
philosophiren", hebt N. nicht nur die Möglichkeit einer solchen kreativen Syn-
Art von ästhetischer Sublimierung des Leidens. So erklärt sich die anschließen-
de Aussage über Wagner: „Das Begehren nach höchster Macht, das Erbgut frü-
herer Zustände, tritt ganz in's künstlerische Schaffen über" (478, 28-30).
478, 30-33 er spricht durch seine Kunst nur noch mit sich, nicht mehr mit einem
Publicum oder Volke und ringt darnach, ihr die grösste Deutlichkeit und Befähi-
gung für ein solches mächtigstes Zwiegespräch zu geben] An früherer Stelle von
UB IV WB betont N. mit Bezug auf Wagners Konzept eines gattungsübergrei-
fenden Gesamtkunstwerks die Absicht der „gewaltigste[n] Musiker-Natur",
über die Musik hinaus „den Zugang zu den anderen Künsten" zu öffnen, „um
so endlich mit hundertfacher Deutlichkeit sich mitzutheilen und sich Verständ-
niss [...] zu erzwingen" (468, 3-7). Und in einer späteren Passage der Schrift
spricht N. von „der höchsten Deutlichkeit", mit der sich „das innere, eigenste
Erlebniss" Wagners in seinen Werken offenbare (485, 5). - Der Anspruch auf
„Deutlichkeit" gehört zu den zentralen Motiven in Richard Wagners theoreti-
schen Schriften. N. orientiert sich an der Selbstdarstellung Wagners, der in
seinem Text Eine Mittheilung an meine Freunde (1851) seine Absicht formuliert,
„das von mir Erschaute so deutlich und verständlich wie möglich der Anschau-
ung Anderer mitzutheilen [...]. Höchste Deutlichkeit war in der Ausführung so-
mit mein Hauptbestreben, und zwar eben nicht die oberflächliche Deutlichkeit,
mit der sich uns ein seichter Gegenstand mittheilt, sondern die unendlich rei-
che und mannigfaltige, in der sich einzig ein umfassender, weithin bezie-
hungsvoller Inhalt verständlich darstellt [...]" (GSD IV, 300).
479, 12-14 er wollte jetzt nur noch Eins: sich mit sich verständigen, über das
Wesen der Welt in Vorgängen denken, in Tönen philosophiren] An die Stelle der
begrifflich-abstrakten theoretischen Sphäre rückt hier die intuitive, auf die Es-
senz zielende Kunst. Für N. hat die Auseinandersetzung mit der Relation zwi-
schen dem Künstler und dem Philosophen zentrale Bedeutung. Da der Künstler
Anschauung ohne begriffliche Vermittlung zum Ausdruck bringen kann, der
Denker seine Theorien jedoch im Medium abstrakter Begrifflichkeit artikulieren
muss, spricht N. in seiner von der Kunstmetaphysik dominierten Frühphase
dem Künstler den Primat zu. Später notiert N. allerdings: „Der Philosoph die
höhere Species, aber viel mißrathener bisher. Der Künstler die niedere, aber
viel schöner und reicher entwickelt!" (NL 1884, 26 [238], KSA 11, 211). Sich
selbst sah N. als eine Synthese aus dem Typus des Künstlers und des Philoso-
phen. Produktive Wechselwirkungen können zustande kommen, wenn philo-
sophische Ideen künstlerische Prozesse evozieren oder wenn die Kunst als Me-
dium philosophischer Gedanken fungiert.
Mit der Vorstellung, Wagner wolle „über das Wesen der Welt [...] in Tönen
philosophiren", hebt N. nicht nur die Möglichkeit einer solchen kreativen Syn-