Metadaten

Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0541
Lizenz: In Copyright
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
514 Richard Wagner in Bayreuth

unleidlichste und absurdeste Schicksal gehabt hatten: sie waren berühmt, be-
wundert und wurden - gemisshandelt, und Niemand schien sich zu empören.]
Vgl. dazu Wagners Schrift Über das Dirigiren: „Mit dem Folgenden beabsichtige
ich meine Erfahrungen und Beobachtungen auf einem Felde der musikalischen
Wirksamkeit mitzutheilen, welches bisher für die Ausübung nur der Routine,
für die Beurtheilung aber der Kenntnißlosigkeit überlassen blieb" (GSD VIII,
261). Und Richard Wagner begründet seine Intention hier mit der Erfahrung,
dass es nur „durch eine gute Aufführung" möglich ist, dem Publikum „den
richtigen Eindruck" von einer Komposition zu vermitteln, „während es den
durch eine schlechte Aufführung hervorgebrachten unrichtigen Eindruck als
solchen nicht zu erkennen vermag" (ebd.). Vgl. auch NK 481, 20-24.
482, 6-10 Nachdem ihm der Zusammenhang unseres heutigen Theaterwesens
und Theatererfolges mit dem Charakter des heutigen Menschen aufgegangen
war, hatte seine Seele Nichts mehr mit diesem Theater zu schaffen] Dieser kul-
turkritische Impuls korrespondiert mit Beethovens Einschätzung, die Richard
Wagner in seinem Text Ein Deutscher in Paris zitiert: „Sie kennen alle nur die
glänzende Lüge, brillanten Unsinn und überzuckerte Langeweile" (GSD I, 109).
482, 19-22 nach dem widerlichen Receptir-Buche des Opernstyles, ja man
schnitt und hackte sich seine Werke, Dank den gebildeten Kapellmeistern, gera-
dewegs zur Oper zurecht] In einer früheren Textversion verwendete N. anstelle
von „Receptir-Buche" den Begriff „Vortragsmanieren" (KGW IV 4, 146).
482, 26-29 als ob man den nächtlichen Volks-Auflauf in den Strassen Nürn-
berg's, wie er im zweiten Acte der Meistersinger vorgeschrieben ist, durch künst-
lich figurirende Ballettänzer darstellen wollte] Hier bezieht sich N. auf Richard
Wagners Musikdrama Die Meistersinger von Nürnberg (1862). Die besagte Werk-
partie im 2. Akt der Oper enthält eine besonders turbulente Szene mit einer
Prügelei: Während der Nacht prügeln sich David und Beckmesser in einer Gas-
se, so dass einige Nachbarn ihre Fenster öffnen, um nach den Ruhestörern
Ausschau zu halten, während andere in den Kampf selbst aktiv eingreifen, so
dass der ursprüngliche Konflikt schließlich in eine allgemeine Schlägerei mün-
det (vgl. GSD VII, 224-229). Die Prügelei endet abrupt, als Hans Sachs die Stra-
ße betritt und zugleich das Horn des Nachtwächters ertönt.
Schon im Frühjahr 1874, also noch vor dem Beginn seiner Arbeit an
UB IV WB, distanzierte sich N. in einer nachgelassenen Notiz von dieser Prü-
gelszene: „[...] mit der unstilisirten Natur kann die Kunst nichts anfangen. Ex-
cesse in dem Tristan der bedenklichsten Art, z. B. die Ausbrüche am Schluss
des 2ten Aktes. Unmässigkeit in der Prügelscene der Meistersinger. Wagner
fühlt, dass er in Hinsicht der Form die ganze Rohheit des Deutschen hat und
will lieber unter Hans Sachsens Panier kämpfen als unter dem der Franzosen
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften