Stellenkommentar UB IV WB 8, KSA 1, S. 482-483 515
oder der Griechen. Unsre deutsche Musik (Mozart Beethoven) hat aber die itali-
änische Form in sich aufgenommen, wie das Volkslied, und entspricht deshalb
mit ihrem feingegliederten Reichthum der Linien nicht mehr der bäuerlich-
bürgerlichen Rüpelei" (NL 1874, 32 [43], KSA 7, 767).
In einem anderen Nachlass-Notat aus der gleichen Zeit reflektiert N. Mög-
lichkeiten einer Synthese zwischen „Musik und Sprache": Während „im Lied"
eine organische Verbindung von Musik und Sprache möglich werde, sei das
„Ideal, das Drama und die Musik in ein solches Verhältniss zu bringen",
schwer zu realisieren, „denn wir haben noch keinen Stil der Bewegung, keine
ebenso reiche Ausbildung der Orchestik, wie es unsre Musik hat. Die Musik
aber in den Dienst einer naturalistischen Leidenschaftlichkeit [zu] zwingen,
löst sie auf und verwirrt sie selbst und macht sie später unfähig, die gemeinsa-
me Aufgabe zu lösen. Dass uns eine solche Kunst wie die Wagner's auf's höch-
ste gefällt, dass sie eine unendliche Ferne der Kunstentwicklung noch aufzeigt,
ist kein Zweifel. Aber der deutsche Formensinn! Wenn nur die Musik nicht
schlecht wird und die Form ausbleibt! Im Dienste Hans-Sachsischer Gebärden
muss die Musik entarten (Beckmesser)" (NL 1874, 32 [27], KSA 7, 762-763).
483, 4-8 Hatte doch selbst Goethe die Lust verloren, den Aufführungen seiner
Iphigenie beizuwohnen, „ich leide entsetzlich, hatte er zur Erklärung gesagt,
wenn ich mich mit diesen Gespenstern herumschlagen muss, die nicht so zur Er-
scheinung kommen wie sie sollten."] Vgl. hierzu Johann Peter Eckermanns Ge-
spräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens (1836-1848). Hier findet
sich im Dritten Teil die folgende Darstellung Eckermanns: „Sonntag den 1. Ap-
ril 1827: Abends bei Goethe. Ich sprach mit ihm über die gestrige Vorstellung
seiner Iphigenie, worin Herr Krüger, vom Königlichen Theater zu Berlin, den
Orest spielte, und zwar zu großem Beifall. ,Das Stück, sagte Goethe, hat seine
Schwierigkeiten. Es ist reich an innerem Leben, aber arm an äußerem. Daß
aber das innere Leben hervorgekehrt werde, darin liegt's. [...] Aber wir wollen
keine schwächlich empfindenden Schauspieler, die ihre Rollen nur so obenhin
auswendig gelernt haben; am wenigsten aber solche, die ihre Rollen nicht ein-
mal können. Ich muß gestehen, es hat mir noch nie gelingen wollen, eine voll-
endete Aufführung meiner Iphigenie zu erleben. Das war auch die Ursache,
warum ich gestern nicht hineinging. Denn ich leide entsetzlich, wenn ich mich
mit diesen Gespenstern herumschlagen muß, die nicht so zur Erscheinung
kommen, wie sie sollten."'
483, 15-16 er musste das Herbste erdulden - der grosse Dulder!] König Ludwig
II., der seit dem 10. März 1864 Bayern regierte, geht auf Wagners Leidenssitua-
tion ein, indem er dem Komponisten, den er bereits seit dem 4. Mai 1864 per-
sönlich kannte, am 14. August 1865 in einem Brief Folgendes schreibt: „Der
oder der Griechen. Unsre deutsche Musik (Mozart Beethoven) hat aber die itali-
änische Form in sich aufgenommen, wie das Volkslied, und entspricht deshalb
mit ihrem feingegliederten Reichthum der Linien nicht mehr der bäuerlich-
bürgerlichen Rüpelei" (NL 1874, 32 [43], KSA 7, 767).
In einem anderen Nachlass-Notat aus der gleichen Zeit reflektiert N. Mög-
lichkeiten einer Synthese zwischen „Musik und Sprache": Während „im Lied"
eine organische Verbindung von Musik und Sprache möglich werde, sei das
„Ideal, das Drama und die Musik in ein solches Verhältniss zu bringen",
schwer zu realisieren, „denn wir haben noch keinen Stil der Bewegung, keine
ebenso reiche Ausbildung der Orchestik, wie es unsre Musik hat. Die Musik
aber in den Dienst einer naturalistischen Leidenschaftlichkeit [zu] zwingen,
löst sie auf und verwirrt sie selbst und macht sie später unfähig, die gemeinsa-
me Aufgabe zu lösen. Dass uns eine solche Kunst wie die Wagner's auf's höch-
ste gefällt, dass sie eine unendliche Ferne der Kunstentwicklung noch aufzeigt,
ist kein Zweifel. Aber der deutsche Formensinn! Wenn nur die Musik nicht
schlecht wird und die Form ausbleibt! Im Dienste Hans-Sachsischer Gebärden
muss die Musik entarten (Beckmesser)" (NL 1874, 32 [27], KSA 7, 762-763).
483, 4-8 Hatte doch selbst Goethe die Lust verloren, den Aufführungen seiner
Iphigenie beizuwohnen, „ich leide entsetzlich, hatte er zur Erklärung gesagt,
wenn ich mich mit diesen Gespenstern herumschlagen muss, die nicht so zur Er-
scheinung kommen wie sie sollten."] Vgl. hierzu Johann Peter Eckermanns Ge-
spräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens (1836-1848). Hier findet
sich im Dritten Teil die folgende Darstellung Eckermanns: „Sonntag den 1. Ap-
ril 1827: Abends bei Goethe. Ich sprach mit ihm über die gestrige Vorstellung
seiner Iphigenie, worin Herr Krüger, vom Königlichen Theater zu Berlin, den
Orest spielte, und zwar zu großem Beifall. ,Das Stück, sagte Goethe, hat seine
Schwierigkeiten. Es ist reich an innerem Leben, aber arm an äußerem. Daß
aber das innere Leben hervorgekehrt werde, darin liegt's. [...] Aber wir wollen
keine schwächlich empfindenden Schauspieler, die ihre Rollen nur so obenhin
auswendig gelernt haben; am wenigsten aber solche, die ihre Rollen nicht ein-
mal können. Ich muß gestehen, es hat mir noch nie gelingen wollen, eine voll-
endete Aufführung meiner Iphigenie zu erleben. Das war auch die Ursache,
warum ich gestern nicht hineinging. Denn ich leide entsetzlich, wenn ich mich
mit diesen Gespenstern herumschlagen muß, die nicht so zur Erscheinung
kommen, wie sie sollten."'
483, 15-16 er musste das Herbste erdulden - der grosse Dulder!] König Ludwig
II., der seit dem 10. März 1864 Bayern regierte, geht auf Wagners Leidenssitua-
tion ein, indem er dem Komponisten, den er bereits seit dem 4. Mai 1864 per-
sönlich kannte, am 14. August 1865 in einem Brief Folgendes schreibt: „Der