Stellenkommentar UB IV WB 9, KSA 1, S. 484 519
und einer mit permanentem Leiden verbundenen Triebdimension korreliert.
Der „Künstler" Wagner hingegen bietet den Lesern von UB IV WB laut N. die
Möglichkeit, „an dem Schauspiele eines wahrhaft frei gewordenen Könnens
und Dürfens betrachtend vorüberzugehen", nachdem sie angesichts von Wag-
ners leidensvoller Biographie „gedacht und gelitten" haben. Nicht allein der
Komponist Wagner selbst weist insofern Affinitäten zur Sphäre der Vorstel-
lung' auf, die nach Schopenhauers Auffassung die vom qualvollen Willens-
drang befreite ästhetische Kontemplation einschließt. Dies gilt vielmehr - laut
N. - auch für diejenigen, die sich durch die Lektüre von UB IV WB mit dem
Leben und Werk Wagners konfrontiert sehen: Wie Schopenhauer der ästheti-
schen Einstellung eine befreiende Qualität zuspricht, weil sich der Intellekt
hier von der Instrumentalisierung durch den Willen und seine Bedürfnisse
lossagt, autonom tätig wird und infolgedessen vorübergehend vom willensbe-
dingten Leiden erlöst ist, so stellt N. im Hinblick auf das ,Schauspiel' von
Wagners Künstlertum auch den Rezipienten von UB IV WB „Heilung und Erho-
lung" in Aussicht, und zwar nachdem sie zuvor empathisch Wagners Biogra-
phie durchlitten haben. Auf diese Weise inszeniert N. in doppelter Hinsicht
Analogien zu den Spezifika ästhetisch-willenloser Kontemplation gemäß der
Philosophie Schopenhauers.
Aufschlussreich ist darüber hinaus ein biographisches Detail, das die sin-
guläre Bedeutung Schopenhauers für Wagner und seine Geliebte dokumen-
tiert: Cosima von Bülow und Richard Wagner waren bereits etliche Jahre durch
eine enge Partnerschaft miteinander verbunden, in der 1865, 1867 und 1869
sogar drei außereheliche gemeinsame Kinder geboren wurden, bevor die Bezie-
hung nach dem Tod von Wagners Ehefrau Minna 1866 und Cosimas Scheidung
von Hans von Bülow im Juli 1870 bereits im August 1870 durch die Eheschlie-
ßung legitimiert wurde. Zuvor verwendeten die Liebenden unter Rückgriff auf
die Zentralbegriffe von Schopenhauers Philosophie „Will" und „Vorstell" als
Decknamen für ihre telegraphischen Mitteilungen, „wobei Richard der Part des
Willens, Cosima derjenige der Vorstellung" zukam: „er grenzenlos, sie begren-
zend" (Martin Geck 2004, 100).
484, 31 - 485, 4 Ist die Kunst überhaupt eben nur das Vermögen, Das an Andere
mitzutheilen, was man erlebt hat, widerspricht jedes Kunstwerk sich selbst, wenn
es sich nicht zu verstehen geben kann: so muss die Grösse Wagner's, des Künst-
lers, gerade in jener dämonischen Mittheilbarkeit seiner Natur bestehen] Seit der
Gefühlskultur in der Epoche der ,Empfindsamkeit' galt wahre Kunst als vorran-
gig durch das ,Erlebnis' legitimiert. Diese Tendenz setzte sich vom 18. Jahrhun-
dert bis weit ins 19. Jahrhundert hinein fort. N. schließt hier an derartige Vor-
stellungs- und Wertungsschemata an und orientiert sich zugleich auch an
Leitbegriffen aus Wagners theoretischen Schriften, in denen „Mittheilung",
und einer mit permanentem Leiden verbundenen Triebdimension korreliert.
Der „Künstler" Wagner hingegen bietet den Lesern von UB IV WB laut N. die
Möglichkeit, „an dem Schauspiele eines wahrhaft frei gewordenen Könnens
und Dürfens betrachtend vorüberzugehen", nachdem sie angesichts von Wag-
ners leidensvoller Biographie „gedacht und gelitten" haben. Nicht allein der
Komponist Wagner selbst weist insofern Affinitäten zur Sphäre der Vorstel-
lung' auf, die nach Schopenhauers Auffassung die vom qualvollen Willens-
drang befreite ästhetische Kontemplation einschließt. Dies gilt vielmehr - laut
N. - auch für diejenigen, die sich durch die Lektüre von UB IV WB mit dem
Leben und Werk Wagners konfrontiert sehen: Wie Schopenhauer der ästheti-
schen Einstellung eine befreiende Qualität zuspricht, weil sich der Intellekt
hier von der Instrumentalisierung durch den Willen und seine Bedürfnisse
lossagt, autonom tätig wird und infolgedessen vorübergehend vom willensbe-
dingten Leiden erlöst ist, so stellt N. im Hinblick auf das ,Schauspiel' von
Wagners Künstlertum auch den Rezipienten von UB IV WB „Heilung und Erho-
lung" in Aussicht, und zwar nachdem sie zuvor empathisch Wagners Biogra-
phie durchlitten haben. Auf diese Weise inszeniert N. in doppelter Hinsicht
Analogien zu den Spezifika ästhetisch-willenloser Kontemplation gemäß der
Philosophie Schopenhauers.
Aufschlussreich ist darüber hinaus ein biographisches Detail, das die sin-
guläre Bedeutung Schopenhauers für Wagner und seine Geliebte dokumen-
tiert: Cosima von Bülow und Richard Wagner waren bereits etliche Jahre durch
eine enge Partnerschaft miteinander verbunden, in der 1865, 1867 und 1869
sogar drei außereheliche gemeinsame Kinder geboren wurden, bevor die Bezie-
hung nach dem Tod von Wagners Ehefrau Minna 1866 und Cosimas Scheidung
von Hans von Bülow im Juli 1870 bereits im August 1870 durch die Eheschlie-
ßung legitimiert wurde. Zuvor verwendeten die Liebenden unter Rückgriff auf
die Zentralbegriffe von Schopenhauers Philosophie „Will" und „Vorstell" als
Decknamen für ihre telegraphischen Mitteilungen, „wobei Richard der Part des
Willens, Cosima derjenige der Vorstellung" zukam: „er grenzenlos, sie begren-
zend" (Martin Geck 2004, 100).
484, 31 - 485, 4 Ist die Kunst überhaupt eben nur das Vermögen, Das an Andere
mitzutheilen, was man erlebt hat, widerspricht jedes Kunstwerk sich selbst, wenn
es sich nicht zu verstehen geben kann: so muss die Grösse Wagner's, des Künst-
lers, gerade in jener dämonischen Mittheilbarkeit seiner Natur bestehen] Seit der
Gefühlskultur in der Epoche der ,Empfindsamkeit' galt wahre Kunst als vorran-
gig durch das ,Erlebnis' legitimiert. Diese Tendenz setzte sich vom 18. Jahrhun-
dert bis weit ins 19. Jahrhundert hinein fort. N. schließt hier an derartige Vor-
stellungs- und Wertungsschemata an und orientiert sich zugleich auch an
Leitbegriffen aus Wagners theoretischen Schriften, in denen „Mittheilung",