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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0548
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Stellenkommentar UB IV WB 9, KSA 1, S. 485 521

Achim von Arnim und Clemens Brentano publizierte Sammlung Des Knaben
Wunderhorn, die N. in der Geburt der Tragödie erwähnt (KSA 1, 49, 4-5).
485, 22-28 Der Ring des Nibelungen ist ein ungeheures Gedankensystem ohne
die begriffliche Form des Gedankens. Vielleicht könnte ein Philosoph etwas ganz
Entsprechendes ihm zur Seite stellen, das ganz ohne Bild und Handlung wäre
und blos in Begriffen zu uns spräche: dann hätte man das Gleiche in zwei dispa-
raten Sphären dargestellt: einmal für das Volk und einmal für den Gegensatz des
Volkes, den theoretischen Menschen.] Hier greift N. implizit auf die metaphy-
sisch grundierte Musikästhetik in der Welt als Wille und Vorstellung I zurück,
in der Schopenhauer über alle kategorialen Differenzen hinweg eine Analogie
zwischen der Musik und der Philosophie behauptet. Laut Schopenhauer drückt
die Musik als „eine im höchsten Grad allgemeine Sprache, die sich sogar zur
Allgemeinheit der Begriffe ungefähr verhält wie diese zu den einzelnen Din-
gen", alle Emotionen „gewissermaaßen in abstracto" aus, nämlich „das We-
sentliche derselben, ohne alles Beiwerk, also auch ohne die Motive dazu"
(WWV I, § 52, Hü 309). In Abgrenzung von der anschaulichen Idee, die vor al-
lem Künstler, Philosophen und kongeniale Rezipienten im Zustand willenloser
Kontemplation zu erfassen vermögen, charakterisiert Schopenhauer den Be-
griff als „abstrakt, diskursiv" sowie als vollständig definierbar und rational ver-
mittelbar (WWV I, § 49, Hü 276). Eine spezifische Korrelation zwischen Bild
und Begriff bestimmt die Sprachkritik in N.s nachgelassener Frühschrift Ueber
Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne, in der er den Prozess der Be-
griffsbildung kritisch reflektiert (vgl. KSA 1, 879-880).
In der vorliegenden Passage von UB IV WB betrachtet N. Bildlichkeit und
Begrifflichkeit als unterschiedliche Darstellungsmöglichkeiten für „das Glei-
che". Dabei rekurriert er auch mit dem Begriff „Bild" implizit auf Schopenhau-
er, der in der Welt als Wille und Vorstellung II in Kapitel 39 „Zur Metaphysik
der Musik" die musikalische Transformation von Emotionen folgendermaßen
beschreibt: Da die „Leistungen aller schönen Künste" verlangen, „daß der
Wille selbst aus dem Spiel bleibe und wir durchweg uns als rein Erken-
nende verhalten", dürfen „die Affektionen des Willens selbst, also wirklicher
Schmerz und wirkliches Behagen, nicht erregt werden, sondern nur ihre Sub-
stitute, das dem Intellekt Angemessene, als Bild der Befriedigung des Wil-
lens, und das jenem mehr oder weniger Widerstrebende, als Bild des größern
oder geringem Schmerzes. Nur so verursacht die Musik uns nie wirkliches Lei-
den, sondern bleibt auch in ihren schmerzlichsten Ackorden noch erfreulich,
und wir vernehmen gern in ihrer Sprache die geheime Geschichte unsers Wil-
lens und aller seiner Regungen und Strebungen" (WWV II, Kap. 39, Hü 516).
Das Spezifikum der Musik im Vergleich mit „allen andern Künsten" sieht Scho-
penhauer darin, dass sie „zu allem Physischen der Welt das Metaphysische, zu
 
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