536 Richard Wagner in Bayreuth
Eindruck von Stärke und Entschlossenheit vermitteln sollen. In einer Schrift
mit dem Titel Beethoven's „heroische Symphonie" (1851) kontrastiert Wagner die
weiblichen und männlichen Hauptthemen folgendermaßen: „Diese Gestalt hält
der Meister zunächst in einem höchst einfachen Thema fest, welches sicher
und bestimmt sich vor uns hinstellt, und der unendlichsten Entwickelung, von
der zartesten Feinheit bis zur höchsten Kraft, fähig wird. Um dieses Thema,
welches wir als die feste männliche Individualität betrachten können, winden
und schmiegen sich vom Anfange des Satzes herein all' die zarteren und wei-
cheren Empfindungen, die sich bis zur Kundgebung des reinen weiblichen Ele-
mentes entwickeln, welches endlich an dem - durch das ganze Tonstück ener-
gisch dahinschreitenden - männlichen Hauptthema in immer gesteigerter
mannigfaltiger Theilnahme sich als die überwältigende Macht der Liebe of-
fenbart" (GSD V, 172).
491, 33 Ausschreitungen des Gefühls wurden als „unethisch" empfunden] Zur
Polarität von Ethos und Pathos vgl. NK 491, 9-14.
491, 34 die Kunst des Ethos'] Hier betont N. den Gegensatz zu Beethovens
Kunst des Pathos. Wagner schrieb in einer programmatischen Erläuterung mit
dem Titel Beethoven's „heroische Symphonie": „Begreifen wir unter ,Held' über-
haupt den ganzen, vollen Menschen, dem alle rein menschlichen Empfin-
dungen - der Liebe, des Schmerzes und der Kraft - nach höchster Fülle und
Stärke zu eigen sind, so erfassen wir den richtigen Gegenstand, den der Künst-
ler in den ergreifend sprechenden Tönen seines Werkes sich uns mittheilen
läßt. Den künstlerischen Raum dieses Werkes füllen all' die mannigfaltigen,
mächtig sich durchdringenden Empfindungen einer starken, vollkommenen
Individualität an, der nichts Menschliches fremd ist, sondern die alles wahr-
haft Menschliche in sich enthält und in der Weise äußert, daß sie, nach auf-
richtigster Kundgebung aller edlen Leidenschaften, zu einem, die gefühlvollste
Weichheit mit der energischesten Kraft vermählenden, Abschluß ihrer Natur
gelangt" (GSD V, 170).
492, 3-9 Beethoven zuerst liess die Musik eine neue Sprache, die bisher verbote-
ne Sprache der Leidenschaft, reden: weil aber seine Kunst aus den Gesetzen und
Conventionen der Kunst des Ethos' herauswachsen [...] musste, [...] so hatte sein
künstlerisches Werden eine eigenthümliche Schwierigkeit und Undeutlichkeit an
sich.] „Leidenschaft", also Pathos, wird in der folgenden Passage zu einem
dominierenden Motiv. Schon im 4. Kapitel von UB IV WB bescheinigt N. dem
Komponisten Wagner in positivem Sinne eine „Lust am Rhythmus der grossen
Leidenschaft" (452, 14). Während N. in UB IV WB unter dem Aspekt der Emoti-
onalität die Kontinuität der musikhistorischen Entwicklung von Beethoven bis
Wagner betont, ändert er seine Auffassung später fundamental: In seiner
Eindruck von Stärke und Entschlossenheit vermitteln sollen. In einer Schrift
mit dem Titel Beethoven's „heroische Symphonie" (1851) kontrastiert Wagner die
weiblichen und männlichen Hauptthemen folgendermaßen: „Diese Gestalt hält
der Meister zunächst in einem höchst einfachen Thema fest, welches sicher
und bestimmt sich vor uns hinstellt, und der unendlichsten Entwickelung, von
der zartesten Feinheit bis zur höchsten Kraft, fähig wird. Um dieses Thema,
welches wir als die feste männliche Individualität betrachten können, winden
und schmiegen sich vom Anfange des Satzes herein all' die zarteren und wei-
cheren Empfindungen, die sich bis zur Kundgebung des reinen weiblichen Ele-
mentes entwickeln, welches endlich an dem - durch das ganze Tonstück ener-
gisch dahinschreitenden - männlichen Hauptthema in immer gesteigerter
mannigfaltiger Theilnahme sich als die überwältigende Macht der Liebe of-
fenbart" (GSD V, 172).
491, 33 Ausschreitungen des Gefühls wurden als „unethisch" empfunden] Zur
Polarität von Ethos und Pathos vgl. NK 491, 9-14.
491, 34 die Kunst des Ethos'] Hier betont N. den Gegensatz zu Beethovens
Kunst des Pathos. Wagner schrieb in einer programmatischen Erläuterung mit
dem Titel Beethoven's „heroische Symphonie": „Begreifen wir unter ,Held' über-
haupt den ganzen, vollen Menschen, dem alle rein menschlichen Empfin-
dungen - der Liebe, des Schmerzes und der Kraft - nach höchster Fülle und
Stärke zu eigen sind, so erfassen wir den richtigen Gegenstand, den der Künst-
ler in den ergreifend sprechenden Tönen seines Werkes sich uns mittheilen
läßt. Den künstlerischen Raum dieses Werkes füllen all' die mannigfaltigen,
mächtig sich durchdringenden Empfindungen einer starken, vollkommenen
Individualität an, der nichts Menschliches fremd ist, sondern die alles wahr-
haft Menschliche in sich enthält und in der Weise äußert, daß sie, nach auf-
richtigster Kundgebung aller edlen Leidenschaften, zu einem, die gefühlvollste
Weichheit mit der energischesten Kraft vermählenden, Abschluß ihrer Natur
gelangt" (GSD V, 170).
492, 3-9 Beethoven zuerst liess die Musik eine neue Sprache, die bisher verbote-
ne Sprache der Leidenschaft, reden: weil aber seine Kunst aus den Gesetzen und
Conventionen der Kunst des Ethos' herauswachsen [...] musste, [...] so hatte sein
künstlerisches Werden eine eigenthümliche Schwierigkeit und Undeutlichkeit an
sich.] „Leidenschaft", also Pathos, wird in der folgenden Passage zu einem
dominierenden Motiv. Schon im 4. Kapitel von UB IV WB bescheinigt N. dem
Komponisten Wagner in positivem Sinne eine „Lust am Rhythmus der grossen
Leidenschaft" (452, 14). Während N. in UB IV WB unter dem Aspekt der Emoti-
onalität die Kontinuität der musikhistorischen Entwicklung von Beethoven bis
Wagner betont, ändert er seine Auffassung später fundamental: In seiner