580 Richard Wagner in Bayreuth
UB IV WB exemplifiziert er - auch unter Rekurs auf Richard Wagner - ein Ver-
fahren der Analogiebildung, das sogar Epochengrenzen transzendiert: Manche
Phänomene blieben laut N. „unerklärbar [...], wenn man sie nicht, über einen
mächtigen Zeitraum hinweg, an die griechischen Analogien anknüpfen könnte.
So giebt es zwischen Kant und den Eleaten, zwischen Schopenhauer und Em-
pedokles, zwischen Aeschylus und Richard Wagner solche Nähen und Ver-
wandtschaften, dass man fast handgreiflich an das sehr relative Wesen aller
Zeitbegriffe gemahnt wird: beinahe scheint es, als ob manche Dinge zusammen
gehören und die Zeit nur eine Wolke sei, welche es unseren Augen schwer
macht, diese Zusammengehörigkeit zu sehen. [...] Das Bild unserer gegenwärti-
gen Welt ist durchaus kein neues: immer mehr muss es Dem, der die Geschich-
te kennt, so zu Muthe werden, als ob er alte vertraute Züge eines Gesichtes
wieder erkenne" (446, 19 - 447, 5). - Mit diesem Prinzip der Analogisierung
greift N. auf vieldiskutierte Strategien der Historiographie zurück (vgl. NK 293,
34 - 294, 4). Zugleich betont er die Relativität der Zeit hier so entschieden,
dass sich sogar zwischen weit voneinander entfernten Epochen die historische
Distanz tendenziell aufzulösen scheint.
In Ecce homo vollzieht N. im Kapitel „Warum ich so gute Bücher schreibe"
eine radikale Umdeutung der Aussageintention von UB IV WB, indem er die
ganze Schrift nachträglich zu einer impliziten Selbstcharakterisierung erklärt,
so dass der Name ,Wagner' dort überall an die Stelle der Namen ,Nietzsche'
oder ,Zarathustra' zu setzen sei (vgl. KSA 6, 314, 3-6). Demzufolge zeige das
„ganze Bild des dithyrambischen Künstlers" Wagner eigentlich „das Bild
des präexistenten Dichters des Zarathustra" und nicht die „Wagnersche
Realität" (KSA 6, 314, 7-10), auf die N. vielmehr „die Wahrheit" über sich selbst
projiziert habe (KSA 6, 315, 2). Aus dieser Umdeutung in Ecce homo resultiert
zugleich auch eine fundamental veränderte Interpretation der Perspektive auf
Vergangenheit und Zukunft in der Schlusspassage von UB IV WB. Der hier ak-
zentuierte Primat der Vergangenheit, als deren „Deuter und Verklärer" Wagner
erscheint, wird aufgehoben, wenn N. behauptet: „Es ist Alles an dieser Schrift
vorherverkündend: die Nähe der Wiederkunft des griechischen Geistes, die
Nothwendigkeit von Gegen-Alexandern, welche den gordischen Knoten
der griechischen Cultur wieder binden, nachdem er gelöst war ..." (KSA 6,
314, 26-30). Durch nachträgliche Umdeutung schreibt N. UB IV WB also einen
antizipatorischen Charakter und ein zukunftsweisendes Potential zu, das er in
Ecce homo allerdings nicht mehr auf Wagner bezieht, sondern auf sich selbst.
Indem er den in UB IV WB thematisierten „Gedanke[n] von Bayreuth" (KSA 6,
314, 12) durch seine eigenen Kulturutopien überformt, assoziiert er diese zu-
gleich mit einem „Pathos", das „Wagner, Bayreuth, die ganze kleine deutsche
Erbärmlichkeit" als „eine Wolke" erscheinen lässt, „in der eine unendliche fata
UB IV WB exemplifiziert er - auch unter Rekurs auf Richard Wagner - ein Ver-
fahren der Analogiebildung, das sogar Epochengrenzen transzendiert: Manche
Phänomene blieben laut N. „unerklärbar [...], wenn man sie nicht, über einen
mächtigen Zeitraum hinweg, an die griechischen Analogien anknüpfen könnte.
So giebt es zwischen Kant und den Eleaten, zwischen Schopenhauer und Em-
pedokles, zwischen Aeschylus und Richard Wagner solche Nähen und Ver-
wandtschaften, dass man fast handgreiflich an das sehr relative Wesen aller
Zeitbegriffe gemahnt wird: beinahe scheint es, als ob manche Dinge zusammen
gehören und die Zeit nur eine Wolke sei, welche es unseren Augen schwer
macht, diese Zusammengehörigkeit zu sehen. [...] Das Bild unserer gegenwärti-
gen Welt ist durchaus kein neues: immer mehr muss es Dem, der die Geschich-
te kennt, so zu Muthe werden, als ob er alte vertraute Züge eines Gesichtes
wieder erkenne" (446, 19 - 447, 5). - Mit diesem Prinzip der Analogisierung
greift N. auf vieldiskutierte Strategien der Historiographie zurück (vgl. NK 293,
34 - 294, 4). Zugleich betont er die Relativität der Zeit hier so entschieden,
dass sich sogar zwischen weit voneinander entfernten Epochen die historische
Distanz tendenziell aufzulösen scheint.
In Ecce homo vollzieht N. im Kapitel „Warum ich so gute Bücher schreibe"
eine radikale Umdeutung der Aussageintention von UB IV WB, indem er die
ganze Schrift nachträglich zu einer impliziten Selbstcharakterisierung erklärt,
so dass der Name ,Wagner' dort überall an die Stelle der Namen ,Nietzsche'
oder ,Zarathustra' zu setzen sei (vgl. KSA 6, 314, 3-6). Demzufolge zeige das
„ganze Bild des dithyrambischen Künstlers" Wagner eigentlich „das Bild
des präexistenten Dichters des Zarathustra" und nicht die „Wagnersche
Realität" (KSA 6, 314, 7-10), auf die N. vielmehr „die Wahrheit" über sich selbst
projiziert habe (KSA 6, 315, 2). Aus dieser Umdeutung in Ecce homo resultiert
zugleich auch eine fundamental veränderte Interpretation der Perspektive auf
Vergangenheit und Zukunft in der Schlusspassage von UB IV WB. Der hier ak-
zentuierte Primat der Vergangenheit, als deren „Deuter und Verklärer" Wagner
erscheint, wird aufgehoben, wenn N. behauptet: „Es ist Alles an dieser Schrift
vorherverkündend: die Nähe der Wiederkunft des griechischen Geistes, die
Nothwendigkeit von Gegen-Alexandern, welche den gordischen Knoten
der griechischen Cultur wieder binden, nachdem er gelöst war ..." (KSA 6,
314, 26-30). Durch nachträgliche Umdeutung schreibt N. UB IV WB also einen
antizipatorischen Charakter und ein zukunftsweisendes Potential zu, das er in
Ecce homo allerdings nicht mehr auf Wagner bezieht, sondern auf sich selbst.
Indem er den in UB IV WB thematisierten „Gedanke[n] von Bayreuth" (KSA 6,
314, 12) durch seine eigenen Kulturutopien überformt, assoziiert er diese zu-
gleich mit einem „Pathos", das „Wagner, Bayreuth, die ganze kleine deutsche
Erbärmlichkeit" als „eine Wolke" erscheinen lässt, „in der eine unendliche fata