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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0082
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Stellenkommentar Vorrede, KSA 3, S. 11 67

N. richtet seine Kritik zwar primär gegen Werturteile im engeren Sinn: gegen
,Gut‘ und ,Böse' als Inbegriffe moralischen Wertens, aber auch er stellt Moral
und Moralität immer wieder in einen weiteren Horizont und versteht darunter
auch ganz allgemein innere Einstellungen und äußere Verhaltensweisen. Die
Kritik geht allerdings nicht in einen konkreten Zukunftsentwurf über, wie das
Bild der Morgenröte und der Spruch aus dem Rigveda nahelegen. N. verkündet
statt dessen eine Zukunft, die unbestimmt bleibt.
Vorrede
Anlässlich der in den Jahren 1886 und 1887 veranstalteten Neu-Ausgaben ver-
sah N. eine Reihe von früheren Schriften mit Vorreden. Sie sollten nach Jahren
der Nichtbeachtung - dies trifft auch auf die Morgenröthe zu - Aufmerksamkeit
wecken, indem sie die jeweils zentralen Themen und Motive konzentriert vor-
stellen und ins Profil heben. Auch markiert N. in diesen Vorreden schärfer phi-
losophische Gegenpositionen, wie hier etwa diejenige von Kants Moralphiloso-
phie, um seine eigene Sonderstellung in der Philosophie-Geschichte zu beto-
nen. Schließlich ist es ein hervortretender Grundzug dieser späteren Vorreden,
der auch für die Vorrede zur Morgenröthe gilt, dass N. Autobiographisches ein-
bringt, um sein Denken als ein individuelles, durch eigene Erfahrungen Be-
glaubigtes und daher Individualität und Originalität beanspruchendes zu de-
klarieren. Noch im Vorwort zum späten Rückblick auf sein Werk in Ecce homo
hebt er durch Sperrdruck folgende Sätze heraus: „Hört mich! denn ich
bin der und der. Verwechselt mich vor Allem nicht!" (KSA 6, 257,
16-18)
11, 3-7 In diesem Buche findet man einen „Unterirdischen" an der Arbeit, einen
Bohrenden, Grabenden, Untergrabenden. Man sieht ihn [...] wie er langsam, be-
sonnen, mit sanfter Unerbittlichkeit vorwärts kommt] Diese Aussage, die von der
dann in der letzten Zeile dieses ersten Abschnitts offen verwendeten Metapher
des „Maulwurfs" ausgeht, lässt noch nicht erkennen, was untergraben werden
soll. Erst am Ende des 2. Abschnitts füllt N. diese absichtlich erzeugte Lücke:
„ich begann ein altes Vertrauen zu untersuchen und anzugraben [...] ich
begann unser Vertrauen zur Moral zu untergraben" (12, 15-19). Zum inter-
textuellen Bezug der Maulwurfsmetapher auf Kants Kritik der reinen Vernunft
vgl. NK 14, 1-6. Später in der Vorrede hebt N. nicht nur auf die Moral als solche
ab, sondern besonders und nachdrücklich auch auf das ihr entgegengebrachte
„Vertrauen", das er untergraben will (15, 26-16, 4). Diesem Vertrauen liegen die
bisher unhinterfragten „Vorurtheile" zugrunde, wie N. schon im Untertitel der
Morgenröthe signalisiert. Daraus, dass solche Vorurteile internalisiert wurden,
 
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