72 Morgenröthe
ge auch in die Sphäre der Erkenntnis, mithin in die eigentlich philosophische
Sphäre gehört. Die metaphorische Rede von den „philosophischen Baumeis-
tern", die bisher „umsonst gebaut" haben, antizipiert die im Folgenden zentra-
le Vorstellung Kants von den „sittlichen Gebäuden" (14, 4 f.), deren „Boden"
er mit seiner Philosophie „eben und baufest zu machen" unternimmt. Kants
metaphorische Vorstellung vom „Boden", die N. ebenfalls schon zum Voraus
aufgreift (13, 26), meint im Wortsinn den Anspruch einer sicheren vernunft-
theoretischen Grundlegung. Eben dieses Fundament will N. untergraben.
13, 20 aere perennius] Mit dieser Prägung betont Horaz in einer seiner Oden
(Carmina III 30, 1) selbstbewusst die zeitüberdauernde Qualität seiner Kunst:
„Exegi monumentum aere perennius" - „Aufgerichtet habe ich ein Denkmal,
dauerhafter als Erz". Vgl. NK 6/1, 154, 21. Diese poetologische Aussage hatte in
der europäischen Literatur eine lange Tradition, bis hin zu Hölderlins Hymne
Andenken, die mit den Versen schließt: „Was bleibet aber / Stiften die Dichter",
und noch darüber hinaus. N. überträgt sie in den Bereich der Philosophie, wo
es bereits seit dem 16. Jahrhundert die Vorstellung einer „philosophia peren-
nis" gab, einer zeit- und kulturübergreifenden Philosophie, die allgemeingülti-
ge, ewige Wahrheiten aufstellt - was N. allerdings gerade bezweifelt.
13, 22-24 „weil von ihnen Allen die Voraussetzung versäumt war, die Prüfung
des Fundamentes, eine Kritik der gesammten Vernunft"] Mit polemischer Ab-
sicht übernimmt N. hier sinngemäß die programmatischen Formulierungen,
die Kant seiner Kritik der reinen Vernunft sowohl in der ersten Auflage (1781)
wie in der zweiten Auflage (1787) voranstellte: in der ersten Auflage S. XI-XII,
10 in der Anmerkung, in der zweiten Auflage S. XVI—XVII und XXXV-XXXVI,
7-9.
14, 1-6 um uns noch einmal der unschuldigen Sprache Kant's zu bedienen, der
es als seine eigne „nicht so glänzende, aber doch auch nicht verdienstlose" Auf-
gabe und Arbeit bezeichnet, „den Boden zu jenen majestätischen sittlichen Ge-
bäuden eben und baufest zu machen" (Kritik der reinen Vernunft II, S. 257).] N.
hatte keine Kantausgabe; er zitiert Kant nur aus sekundären Darstellungen,
meistens aus Kuno Fischers Philosophie-Geschichte (Fischer 1860, Bd. 3 und
4), hier aber aus einem Werk seines alten Freundes Heinrich Romundt: Grund-
legung zur Reform der Philosophie. Vereinfachte und erweiterte Darstellung von
Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft (1885). Dort steht auch die von N.
übernommene Stellenangabe zur Kritik der reinen Vernunft nach der Harten-
stein-Ausgabe von Kants Werken: „Er [Kant] fährt fort II. S. 257 (319): Statt aller
dieser Betrachtungen, deren gehörige Ausführung in der That die eigentümli-
che Würde der Philosophie ausmacht, beschäftigen wir uns jetzt mit einer nicht
so glänzenden, aber doch auch nicht verdienstlosen Arbeit, nämlich: den Bo-
ge auch in die Sphäre der Erkenntnis, mithin in die eigentlich philosophische
Sphäre gehört. Die metaphorische Rede von den „philosophischen Baumeis-
tern", die bisher „umsonst gebaut" haben, antizipiert die im Folgenden zentra-
le Vorstellung Kants von den „sittlichen Gebäuden" (14, 4 f.), deren „Boden"
er mit seiner Philosophie „eben und baufest zu machen" unternimmt. Kants
metaphorische Vorstellung vom „Boden", die N. ebenfalls schon zum Voraus
aufgreift (13, 26), meint im Wortsinn den Anspruch einer sicheren vernunft-
theoretischen Grundlegung. Eben dieses Fundament will N. untergraben.
13, 20 aere perennius] Mit dieser Prägung betont Horaz in einer seiner Oden
(Carmina III 30, 1) selbstbewusst die zeitüberdauernde Qualität seiner Kunst:
„Exegi monumentum aere perennius" - „Aufgerichtet habe ich ein Denkmal,
dauerhafter als Erz". Vgl. NK 6/1, 154, 21. Diese poetologische Aussage hatte in
der europäischen Literatur eine lange Tradition, bis hin zu Hölderlins Hymne
Andenken, die mit den Versen schließt: „Was bleibet aber / Stiften die Dichter",
und noch darüber hinaus. N. überträgt sie in den Bereich der Philosophie, wo
es bereits seit dem 16. Jahrhundert die Vorstellung einer „philosophia peren-
nis" gab, einer zeit- und kulturübergreifenden Philosophie, die allgemeingülti-
ge, ewige Wahrheiten aufstellt - was N. allerdings gerade bezweifelt.
13, 22-24 „weil von ihnen Allen die Voraussetzung versäumt war, die Prüfung
des Fundamentes, eine Kritik der gesammten Vernunft"] Mit polemischer Ab-
sicht übernimmt N. hier sinngemäß die programmatischen Formulierungen,
die Kant seiner Kritik der reinen Vernunft sowohl in der ersten Auflage (1781)
wie in der zweiten Auflage (1787) voranstellte: in der ersten Auflage S. XI-XII,
10 in der Anmerkung, in der zweiten Auflage S. XVI—XVII und XXXV-XXXVI,
7-9.
14, 1-6 um uns noch einmal der unschuldigen Sprache Kant's zu bedienen, der
es als seine eigne „nicht so glänzende, aber doch auch nicht verdienstlose" Auf-
gabe und Arbeit bezeichnet, „den Boden zu jenen majestätischen sittlichen Ge-
bäuden eben und baufest zu machen" (Kritik der reinen Vernunft II, S. 257).] N.
hatte keine Kantausgabe; er zitiert Kant nur aus sekundären Darstellungen,
meistens aus Kuno Fischers Philosophie-Geschichte (Fischer 1860, Bd. 3 und
4), hier aber aus einem Werk seines alten Freundes Heinrich Romundt: Grund-
legung zur Reform der Philosophie. Vereinfachte und erweiterte Darstellung von
Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft (1885). Dort steht auch die von N.
übernommene Stellenangabe zur Kritik der reinen Vernunft nach der Harten-
stein-Ausgabe von Kants Werken: „Er [Kant] fährt fort II. S. 257 (319): Statt aller
dieser Betrachtungen, deren gehörige Ausführung in der That die eigentümli-
che Würde der Philosophie ausmacht, beschäftigen wir uns jetzt mit einer nicht
so glänzenden, aber doch auch nicht verdienstlosen Arbeit, nämlich: den Bo-